Fachtag 2019: Gedruckt oder digital?

Aktuelle Herausforderungen für klassische und alternative Printmedien

Videos vom Fachtag

Werden Straßenzeitungen ihrem Ruf als alternative Medien gerecht? Sind E-Paper oder Online-Zeitungen eine zündende Idee oder ein Rohrkrepierer? Bedroht die Digitalisierung (Straßen-)Zeitungen und den Journalismus überhaupt? Zu diesen Fragen diskutierten am 29. Mai 2019 rund 30 Fachleute aus der Wissenschaft sowie von Straßen-, Monats- und Tageszeitungen in der Jugendherberge Stuttgart. Der seriöse Journalismus kann überleben, wenn er sich auf ein paar Grundsätze besinnt.

Trott-war Geschäftsführer Helmut Schmid stellte die Stuttgarter Straßenzeitung vor. Nach immer wieder abfallenden Auflagen liegt die durchschnittliche Auflage derzeit bei rund 30.000 Heften. Die Verkaufenden kommen aus allen Gesellschaftsschichten, manche haben gar einen akademischen Abschluss. Als Antwort auf die digitalen Herausforderungen setzt der Journalist auf Storytelling und lokale Berichte von Menschen aus der Stadt. Das Internet sei sehr wichtig als Instrument des Fundraising. Wenig erfolgreich im Übrigen sei ein Mitte 2013 angebotenes digitales Abo der Straßenzeitung gewesen. Es habe nur 3 Abonnierende gegeben. Die Menschen wollten lieber bei realen Verkaufenden ihr Heft erstehen.

Mal hippes Magazin, mal selbstgeschriebenes Blättle mit Streetcredibility – 29 befragte deutsche Straßenzeitungen bewegen sich zwischen diesen beiden Polen. Dies ist ein Zwischenergebnis der Doktorarbeit von Gerrit Hummel von der Universität Hohenheim. Der Kommunikationswissenschaftler präsentierte einen Einblick in seine 2020 erscheinende Dissertation über deutsche Straßenzeitungen. Die Leitfrage: Sind Straßenzeitungen ein alternatives Medium? Die Antwort: Jein. Die 29 deutschen Straßenzeitungen präsentierten dem Doktoranden ihr breites Spektrum zwischen Hochglanz und Aufmüpfigkeit. Hummel entdeckte Straßenzeitungen mit einer Belegschaft von 100 Leuten genauso wie Ein-Mann-Betriebe. Manche erschienen zwei Mal im Jahr, andere 17 Mal. Manche bringen 1.000 Hefte heraus, andere 75.000.

Nicht anwesend sein konnte Irene Kramer von der Hochschule Neu-Ulm. Trott-war-Redakteur Nico Nissen präsentierte in Vertretung Kramers einige Daten zu Digitalabonnements. Fazit der Tagungsgäste: Der Markt wandelt sich irre schnell, ständig gibt es neue Entwicklungen und Angebote.

Geschichte vor der Haustür entdecken – das will und tut Joe Bauer. Der Journalist, Kolumnist der Stuttgarter Nachrichten und Stadtflaneur hielt ein flammendes Plädoyer für den Lokaljournalismus, der mit spannenden, berührenden, aufklärenden Stoffen über das Leben und die gesellschaftliche Entwicklung punkten könne und solle. Zudem sei es nicht ausschließlich die Digitalisierung gewesen, die das Interesse an den Tageszeitungen hätte schwinden lassen. Zum Beispiel seien die Themen der Jugendlichen lange sträflich vernachlässigt worden. Eine weitere Chance sieht Bauer für die Tageszeitung, wenn sie ein „Bündnis von Expertinnen und Experten“ werde.

Blogs sind keine ernstzunehmende Konkurrenz für Tageszeitungen, und in wenigen Jahren wird kaum noch eine Tageszeitung auf Papier erscheinen. So fasst Stefan Laurin, Journalist und Blogger „Ruhrbarone“, seinen Vortrag zusammen. Sein Tagungsbeitrag ist im Blog nachzulesen (www.ruhrbarone.de/hallo-stuttgart-ich-komme-aus-der-zukunft/168584#more-168584).

Ist das Digitale die Zukunft? Wie geht’s im Print weiter? „Keiner weiß es“, bilanzierte Anna Hunger von der Stuttgarter Wochenzeitung Kontext. Sie moderierte das Schlusspodium. E-paper liefen nicht so recht. Die Jugend sei das „unbekannte Wesen“. Lokalredaktionen würden geschlossen. Probleme über Probleme. Sie plädierte für einen positiven Blick in die Zukunft. Denn alle Anwesenden hätten doch ein Publikationsformat gefunden, das funktioniere. Woher komme Erfolg?

„Vielleicht spielt die Solidarität mit sozial Benachteiligten eine Rolle“, antwortete etwa Helmut Schmid von Trott-war. Und die Straßenzeitung versuche, interessant zu berichten. „Man muss seinen eigenen Weg finden. Mit gutem journalistischen Stil und Handwerk.“ Diesem Fazit konnten sich die Podiumsteilnehmenden unter ihrem je eigenen Blickwinkel anschließen. „Ich habe kein Erfolgsrezept“, raunzte etwa Joe Bauer. „Ich versuche, halbwegs vernünftige Sachen zu machen“. Und auch Prof. Dr. Bertram Scheufele von der Uni Hohenheim setze auch „guten Journalismus“, der zwischen Werbung und Berichterstattung sowie Nachricht und Meinung zu trennen wisse.

Zum Schluss berichtete Trott-war-Stadtführer Thomas Schuler von der Alternativen Stadtführung „Im Blickpunkt“. Er zeigte sich froh, dass sich manches – wie seine rund zweistündige Stuttgart-Tour zu Orten von „jenseits von teuer und reich“ – nicht durchs Digitale ersetzen ließen. Er wünscht seiner Straßenzeitung zum 25-Jährigen alles Gute.

Fotos: Max Blon, Sylvia Rizvi

Eine Teilnehmerin aus dem Publikum spricht im Vordergrund, dahinter weitere Reihen von Teilnehmenden

Tagungsgäste auf dem Trott-war-Fachtag 2019 (29.5.19) in Stuttgart

Mann mit mittelbrauen kurzen Haaren, grauem Bart und blauem Karohemd

Trott-war-Geschäftsführer Helmut Schmid berichtete von der Straßenzeitung

junger Redner mit mittelbraunem Haar und Brille an Rednerpult

Gerrit Hummel stellt Zwischenergebnisse seiner Doktorarbeit vor

Bilck in die Tischreihen der Tagungsgäste

Tagungsgäste

1 Reporter hält Gerrit Hummel das Interview zum Gespräch hin

Referent Gerrit Hummel im Interview

3 männliche Tagungsgäste an ihrem Tisch

Tagungsgäste

Mann in schwarzer Kleidung mit langen Haaren am Podiumstisch

Joe Bauer referiert zu den Chancen der Tageszeitung

Blick in die Reihen der Tagungsgäste an Tischreihen

Tagungsgäste

Mann in schwarzem T-Shirt an Podiumstisch

Referent Stefan Laurin

Mehrere Tagungsgäste an den Tischen

Auch Trott-war-Verkäufer und andere Trott-war-Mitarbeiter sind unter den Tagungsgästen

4 Männer und 1 Frau am Podiumstisch

Rege Podiumsdiskussion

Mann im grauen Sweatshirt am Podiumstisch

Thomas Schuler berichtet von der Alternativen Stadtführung

Fotomontage Trott-war-Zeitung in einem Bildschirm

Mittwoch, 29. Mai 2019
9.30 Uhr – 17 Uhr
Jugendherberge Stuttgart, Haußmannstr. 27, 70188 Stuttgart

PROGRAMM

9:30
Ankommen

10:00
Begrüßung und Einführung

10:15
25 Jahre Trott-war, die Straßenzeitung im Südwesten
Helmut H. Schmid, Geschäftsführer Trott-war e. V.

10:45
Pause

11:00
Straßenzeitungen in Deutschland. Befunde aus einer aktuellen Studie
Prof. Dr. Bertram Scheufele, Gerrit Hummel, Universität Hohenheim

12:15
Mittagessen

13:15
Tages- und Straßenzeitungen als Digital- abonnement: Können E-Paper und Online-Ausgaben die gedruckte Zeitung ersetzen?
Irene Kramer, Hochschule Neu-Ulm

14:00
Geschichte vor der Haustür. Lokaljournalismus als Rettungsanker der Zeitung
Joe Bauer, Journalist, ehemals Stuttgarter Nachrichten

14:45
Kaffeepause

15:00
Blog oder Papier. Konkurrenz belebt das Geschäft?
Stefan Laurin, Journalist und Blogger „Ruhrbarone“

15:50
Podiumsdiskussion
Gedruckt oder digital. Wie gestalten wir die Zukunft der Zeitung?
Moderation: Anna Hunger, Kontext, die alternative Wochenzeitung

17:00
Eine Zeitung macht Beine. Die Alternative Stadtführung
Thomas Schuler, Trott-war-Stadtführer

17:30
Ende der Tagung