Aha-Momente und Edutainment beim Förster auf Tour
„Ich ziele auf das Herz“
Deutschlands bekanntester Förster Peter Wohlleben ist seit März erstmals auf Tour. Titel des Programms: „Ein Abend für den Wald“. Auf der Bühne will der Rheinländer das Verständnis für den Wald mit all seinen Bewohnern stärken und mit Aha-Momenten für Edutainment sorgen. Mit seinen Thesen vom „Sozialleben“ der Bäume hat er Millionen von Lesern gefunden, jedoch werfen manche Wissenschaftler ihm vor, Pflanzen zu vermenschlichen. Eins aber ist sicher: Wohlleben hat ein wichtiges Thema auf die Agenda gesetzt. Mit dem 57-jährigen Bestsellerautor sprach Olaf Neumann über intelligente Pflanzen, die Reaktion der Bäume auf den Klimawandel und die Corona-Krise.
Wer die Corona-Virus-Thematik hinter sich lassen will, sollte einen Spaziergang machen und in die meditative Ruhe unserer heimischen Nadel-, Laub- und Mischwälder eintauchen, raten Forstleute. Ist der Wald für Sie persönlich momentan mehr Zufluchtsort denn je?
Kein Zufluchtsort, aber ein Ort der Ruhe. Die Corona-Krise hat auch vielen anderen Menschen gezeigt, dass man zum Ausspannen nicht unbedingt weit wegreisen muss, sondern Naturoasen vielfach direkt vor der Haustüre findet.
Fühlen Sie sich im Wald sicherer als in der Stadt?
Das ist natürlich, wie überall draußen, der Fall. Bäume sind nicht ansteckend. Es wäre aber nur dann sicherer, wenn man sich auf Dauer im Wald aufhielte. Ich bunkere mich aber nicht in unserem Forsthaus ein, sondern bin nach wie vor relativ viel unterwegs. Die Mischung von Natur und Menschen macht mich aus. Außerdem bin ich bei den aktuellen Fortschritten nicht mehr so besorgt und lebe ein weitgehend normales Leben.
Mitdenkende und mitfühlende Bäume
Warum wirken Bäume so besonders beruhigend auf uns?
Diese Wirkung ist mittlerweile wissenschaftlich belegt. Wir nehmen Teil an der Baumkommunikation. Wir atmen Gase ein, die Bäume über die Blätter und Nadeln ausdünsten. Deswegen ist es gut, wenn man in gesunden Wäldern ist. Die Bäume machen das natürlich nicht für uns, sondern um sich selbst zu schützen. Wenn sie zum Beispiel von Raupen befallen werden, locken sie kleine Schlupfwespen an. Die räumen dann mit den Raupen auf. Werden diese Gase von uns eingeatmet, senken sie den Blutdruck. Und unser Unterbewusstsein übersetzt das in ein Gefühl: Hier ist es schön.
Umgekehrt reagieren aber auch Pflanzen positiv auf menschliche Berührung. Können Sie dafür einmal ein Beispiel nennen?
Für dieses Phänomen gibt es sogar eine wissenschaftliche Erklärung, die allerdings auf einer ganz anderen Tatsache fußt. Bäumchen, die an einem Wildwechsel stehen, kommen immer wieder mit Rehen in Berührung. In dem Moment versteift sich das Bäumchen, damit es nicht umgeknickt wird. Und eine Pflanze, die im Wind steht, muss sich verstärken. Das trifft auch auf Zimmerpflanzen zu, die zu wenig Licht bekommen. Das dünne, wackelige Hochwachsen auf der Fensterbank wird in der Fachsprache „Geilwuchs“ genannt. Wenn wir diese Pflanzen regelmäßig streicheln, verstärken sie sich mehr und mehr und wachsen weniger schnell in die Höhe. Das ist für Zimmerpflanzen viel gesünder und natürlicher. Die Ursache ist wissenschaftlich gesehen nicht unsere Zuneigung, sondern im Gegenteil die Absicherung der Pflanze gegen Berührung.
Der Forschungszweig „Pflanzenneurobiologie“ spricht Pflanzen sogar eine ausgefeilte Intelligenz zu.
Wir haben im letzten Jahr finanzielle Unterstützung für ein Forschungsprojekt in diesem Zusammenhang organisiert. Pflanzen haben keine Neuronen, also Nervenzellen. Sie bewerkstelligen die Signalübertragung aber wie wir mit elektrischen und chemischen Vorgängen. Das geht bei Pflanzen allerdings sehr viel langsamer als bei Menschen. Wissenschaftler nennen diesen Forschungszweig aber nicht „Pflanzenneurobiologie“, weil es dabei nicht um Neuronen geht. Sie bezeichnen ihn als „Plant Signaling and Behaviour“. Es gibt Hinweise darauf, dass Pflanzen sogar schmerzlindernde Substanzen produzieren. Experimente an der Uni Bonn haben gezeigt, dass sie dies nicht unter Betäubung tun. Wäre Schmerz bei Pflanzen ein reiner Reflex, dann machte es für sie keinen Sinn, ihn zu unterdrücken. Es macht nur dann Sinn, wenn sie den Schmerz in bestimmten Situationen nicht durchdringen lassen. Sie möchten das Entscheidungsfindungszentrum für etwas anderes freihaben.
Nicht nur Kohlenstoffsenke, sondern auch Klimaanlage
Wir Menschen leben längst jenseits dessen, was die Natur zu tolerieren gedenkt. Es besteht für uns die Gefahr, als Art von diesem Planeten zu verschwinden. Wird der Wald die Spezies Mensch überleben?
Das wird er definitiv. Wälder gibt es seit über 300 Millionen Jahren, uns Menschen erst seit 300.000 Jahren. Das ist nur ein Wimpernschlag. Wald ist ein Ökosystem, das zudem unglaublich viel aushält. Wenn wir ihn allerdings weiterhin ausplündern, verliert er seine wunderbaren Eigenschaften. Wir Menschen werden aber nicht sämtliche Wälder beseitigen. Außerdem sind diese als große Gesamtorganismen sehr anpassungsfähig. Die Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde hat herausgefunden, dass alte Laubwälder sich im Vergleich zu einer Stadt im Sommer durchschnittlich um 15 Grad herunterkühlen. Wenn es in Berlin also 40 Grad heiß ist, ist es in einem Buchenwald nur 25 Grad warm. Das zeigt, was ein Wald alles regeln kann. Bäume können nun mal nicht weglaufen, und wenn das Klima nicht passt, können sie es innerhalb gewisser Grenzen zu ihren (und unseren) Gunsten manipulieren. Das ist nebenbei ein Hinweis, wo die Lösung zur Bekämpfung des Klimawandels liegen könnte – neben der CO2-Reduktion. Man muss einfach mehr natürliche Wälder zulassen.
Wie reagieren Bäume auf Klimaveränderungen?
Bäume sind nicht dumm. Frühlinghafte Temperaturen hatten wir beispielsweise vor zwei Jahren schon im Januar, aber Bäume lassen sich davon nicht täuschen – auch die Tageslänge spielt eine Rolle. Buchen etwa lassen sich durch Temperaturen maximal zwei, drei Wochen aus der Reserve locken, ohne früher als üblich auszutreiben. Apfelbäume hingegen „zählen“ Tage über 20 Grad. Das haben Forscher aus Deutschland herausgefunden. Erst wenn sie eine bestimmte Anzahl an Tagen über 20 Grad registrieren, fangen sie an zu blühen. Sie können sich aber auch mal vertun, was wir alle paar Jahre erleben, und die Blüte erfriert dann doch noch. Aber grundsätzlich sind Apfelbäume vorsichtig. Bei Gras sieht es anders aus. Da spielt es keine Rolle, ob es nach dem Sprießen der ersten Halme noch einmal schneit oder friert.
Christopher Lyon von der McGill University in Quebec und seine Kollegen prognostizieren: Schafft die Menschheit das Zwei-Grad-Ziel nicht, wäre bis 2500 der Amazonas eine Steppe, der Mittlere Westen der USA tropisch und viele Nutzpflanzen wüchsen nur noch im hohen Norden. Glauben Sie, dass rasante gesellschaftliche Veränderung möglich ist?
Da bin ich mir sogar sehr sicher. Wir müssen nur den Ton der Erzählung ändern: Mehr Dur statt Moll. Wäre es nicht schön, wenn wir endlich einen positiven Kipp-Punkt überschreiten und Städte beispielsweise darum wetteifern, wer den größten und kühlsten Wald hat und damit die Temperaturen für die Einwohnerinnen und Einwohner erträglich hält?
Klimawandel ist gefährlicher als Corona
Worauf müssen sich Besucher Ihrer Tour einstellen?
Das Programm ist natürlich bestimmt durch die Themen meiner Bücher, aber auch durch Dinge, die ich persönlich erlebt habe. Ich werde zusammen mit den Zuschauern kleine Experimente durchführen und auf der Bühne bestimmte Dinge demonstrieren. Geplant ist eine Mischung aus Mitmach-Aktionen und Information in Form von Edutainment. Ganz wichtig ist mir, dass das Publikum mit einem Gefühl der Hoffnung nach Hause geht. Wir haben nämlich tolle Möglichkeiten, wenn wir mit Wäldern „zusammenarbeiten“. Es ist nicht fünf vor zwölf, aber es ist trotzdem wichtig, dass wir Mahner haben. Die Corona-Krise kann man dabei natürlich nicht ausblenden. Vor uns liegen schwere Aufgaben. Dieses Virus stammt ja auch aus der Natur. Es macht uns auf schmerzhafte Weise klar, dass wir vollkommen naturverbunden sind. Wenn wir wieder ein bisschen enger mit der Natur zusammenarbeiten, kann uns Wald dabei helfen, das wieder zu heilen, was wir in den vergangenen Jahrzehnten kaputtgemacht haben.
Welche Wirkung hat der SARS-CoV-2-Erreger auf Sie persönlich?
Ich beschäftige mich mit diesem Thema schon seit 15 Jahren. Die meisten Naturwissenschaftler haben das, was gerade passiert, kommen sehen. Umso überraschender ist, dass die Welt sich nicht vernünftig darauf vorbereitet hat. Es fehlten anfangs zum Beispiel Atemmasken – weil man eben meinte, wir seien von der Natur entkoppelt, uns könne schon nichts passieren. Eben doch! Für mich persönlich ist das Virus neben all dem Leid eine Herausforderung und eine Chance, alles neu zu ordnen. Der Klimawandel ist ja viel gefährlicher als das Corona-Virus. Wir sehen aktuell, zu welchen Maßnahmen wir fähig sind, wenn Menschen aus dem persönlichen Umfeld gefährdet sind. Dann geht es auf einmal. Und das macht mir Hoffnung. Das sind ja alles solidarische Maßnahmen. Es geht gar nicht darum, dass sich der Einzelne nicht ansteckt, denn die allermeisten werden sich den Virus irgendwann einfangen. Es geht eher darum, die Schwächsten zu schützen. Natürlich habe ich auch ein mulmiges Gefühl, ich habe ja ältere Eltern. Ich hoffe aber, dass sich die Lage stabilisiert – auch wirtschaftlich. Das sind große Aufgaben, aber daran zeigt sich der Sozialstaat Deutschland. Wir leben wirklich in der besten aller Ecken der Welt. Bei aller berechtigten Kritik – unser Staat ist grundsätzlich sehr funktional und gut aufgestellt.
Mit der Natur wirtschaften statt gegen sie
Sie haben mit „Das geheime Leben der Bäume“ viele Leser den Wald mit anderen Augen sehen lassen. Für manche Wissenschaftler ist das zu viel Romantisierung und Vermenschlichung. Vermenschlichen Sie ganz bewusst, weil Sie unseren Umgang mit Pflanzen ändern wollen?
Kritik wird im Wesentlichen von drei oder vier Wissenschaftlern mit Verbindung zur Forstindustrie geäußert – und von einem vermeintlichen Biologen, der kurz als Biologielehrer gearbeitet hat und jetzt Lobbyist beim Deutschen Forstwirtschaftsrat ist. Das ist sowas ähnliches wie der Bauernverband. Ich verstehe das, schließlich stört es das Geschäft, wenn ich den Menschen Bäume als sympathische Wesen näherbringe. Umgekehrt habe ich für meine Bücher schon einige Wissenschafts- und Umweltpreise erhalten. Mein Ansatz lautet: Ich ziele nicht aufs Hirn, sondern aufs Herz. Übrigens haben gerade Biologinnen und Biologen der Universität Koblenz einen neu entdeckten Baum nach mir benannt – das ist eigentlich die schönste Anerkennung aus Wissenschaftskreisen, und natürlich auch eine Verpflichtung, mich weiter für Wälder einzusetzen.
Sie plädieren dafür, eine nachhaltige Forstwirtschaft zu betreiben und die industrielle Ausbeutung des Waldes zu beenden. Ist Baumfällen für Sie grundsätzlich was Unmoralisches?
Nein, natürlich nicht. Für mich ist auch essen nichts Unmoralisches. Um Nahrungsmittel anzubauen, wurde in ganz Europa Wald abgeholzt. Ich schreibe übrigens auch Bücher, dafür braucht man Papier. Und ich sitze an einem Holzschreibtisch. Obwohl die Forstwirtschaft behauptet, sie agiere ökologisch, handelt sie brutal konventionell. In den vergangenen Jahrzehnten hat sich das sogar noch verschärft. Sie hat kaum etwas dazugelernt. Viele Forstbetriebe sind aktuell dabei, schon wieder neue Plantagen anzulegen. Dabei haben sich schon bisher nach schweren Katastrophen durch Dürre, Borkenkäfer oder Stürme freie Flächen kostenlos von selbst und viel besser bewaldet, wenn man es zugelassen hat. Ich plädiere dafür, mit der Natur zu wirtschaften. Wichtig ist, dass wir in den nächsten Jahrzehnten überhaupt Walt behalten und erst dann schauen, wie viel Holz er uns liefern kann. Das Bundesverfassungsgericht hat schon 1990 festgestellt, dass im öffentlichen Wald, der 52 Prozent des Gesamtbestands ausmacht, die Holzerzeugung nachrangig zu sein hat.
Fragen rund um den Wald beantwortet die Waldakademie unter www.wohllebenswaldakademie.de. Weitere Informationen zu Peter Wohlleben und aktuelle Tourdaten finden Sie unter www.peter-wohlleben.de.
Hinterlassen Sie einen Kommentar