Teil 1: Leere Straßen in Mailand
Ganz Italien wurde zur Sperrzone erklärt und die gesamte Bevölkerung unter Quarantäne gestellt, um die Ausbreitung des Coronavirus in den Griff zu bekommen. Die italienische Straßenzeitung Scarp de‘ tenis hat ihren Sitz in Mailand, Hauptstadt der Lombardei, also jener Region in Italien, die als erste zur „roten Zone“ erklärt wurde. Der Herausgeber der Zeitung Stefano Lampertico beschreibt, was die Quarantäne für die Veröffentlichung des Blattes und die von ihr abhängigen Straßenverkäufer bedeutet.
Von Stefano Lampertico
Ob Mailand oder Seoul, Scarp de‘ tenis oder Big Issue – unter Covid-19 sind wir alle gleich. Das Virus macht keinerlei Ausnahmen und sucht sich seine Opfer nicht aus. Nicht nur die Verkäuferinnen und Verkäufer der Mailänder Straßenzeitung, sondern auch die der vom Coronavirus betroffenen Städte auf der ganzen Welt, die ihre Straßen immer als Orte der Arbeit, der Begegnungen und Interaktion kannten, finden diese jetzt als verwaiste Orte vor. Auf die Verkäufer der italienischen Straßenzeitung Scarp de‘ tenis kommen harte Zeiten zu.
Das Blatt mit seinem Standort Mailand wird von der Caritas Ambrosiana und der Caritas Italiana unterstützt. Der Vertrieb findet in den Straßen statt. Die Verkäufer bringen die Zeitung gerne an zentralen und vielbesuchten Plätzen unter die Menschen – das ist wegen der Verbote durch die Regierung dort und in anderen norditalienischen Städten wie Turin, Genua, Venedig, Vicenza und Verona plötzlich nicht mehr selbstverständlich. Verordnungen, aber natürlich auch das Verantwortungsbewusstsein für die Bevölkerung, hindern so die Straßenverkäuferinnen und -verkäufer an ihrer Arbeit. Meist obdachlos oder von Armut getroffen und an den Rand der Gesellschaft gedrängt, trifft diese Situation die Verkäuferinnen und Verkäufer mit nicht gekannter Härte. Der Verkauf der Zeitung und die Einnahmen daraus sind für viele das einzige Einkommen. Daher haben wir uns dazu entschlossen, ab März 2020 bis zum Ende der Krise die Ausgaben online und in digitaler Form auf unserer Website zum Verkauf anzubieten.
Wir haben uns mit einem Aufruf an die treue Leserschaft und Projektunterstützer unserer Zeitung gewandt und für den Kauf von Scarp de‘ tenis in einem alternativen Format geworben. In den letzten Tagen haben viele Menschen unversehens reagiert und ihre Unterstützung durch den Online-Kauf des Blattes oder durch ein Abonnement zum Ausdruck gebracht.
Umsatzrückgang droht
Wir werden dennoch mit einem Umsatzrückgang rechnen müssen, denn wir wissen auch, wie wichtig die persönlichen Beziehungen zwischen Verkaufenden und Käufern auf der Straße sind. Resignation ist keine Option, und so rufen wir uns den Song von Enzo Jannacci ins Gedächtnis, dessen Titel „El Portava I Scarp Del Tennis“ auch als Inspiration für den Namen unserer Straßenzeitung diente und der uns sagen will: Das Leben ist schön. Immer. Selbst in schwierigen Zeiten.
Leben in der Roten Zone
Das Leben in der sogenannten roten Zone, zu der die Regierung Teile Norditaliens erklärte, ist alles andere als einfach. Und wie es aussieht, wird es noch weitere Einschränkungen geben. Derzeit sind alle Bürger dazu aufgefordert worden, zu Hause zu bleiben, nach Möglichkeit im Home Office zu arbeiten und sich so wenig wie möglich in der Öffentlichkeit zu bewegen.
Italien verzeichnet die höchste Anzahl an bestätigten Covid-19-Fällen in Europa, und die Zahl der Todesopfer liegt bereits bei über 1.000. Ganz Italien wurde mittlerweile zur Sperrzone erklärt.
Dramatische Lage von Obdachlosen
Die Lage ist insbesondere für Menschen dramatisch, die obdachlos sind und auf der Straße leben müssen oder die gezwungen sind, die Nächte in Flüchtlings- und Notunterkünften zu verbringen. Im vergangenen Winter stellte Mailand nur rund 2.500 Betten für Obdachlose bereit, 300 Menschen schliefen auf der Straße. Angesichts der neuen Situation kam es zu einer Welle der Solidarität: Jedem Betroffenen wird ein Minimum an Unterstützung zugesagt und es soll, wann immer möglich, der Zugang zur Grundversorgung verbessert werden.
Die Bemühungen der insbesondere kleinen bis mittelgroßen Städte und Gemeinden sind groß. Dort ist es einfacher, Netzwerke zur Sicherung von beispielsweise der Grundversorgung einzurichten, insbesondere für ältere Menschen (Essenslieferungen, häusliche Mindestversorgung oder telefonische Unterstützung jeglicher Art). In Zusammenarbeit mit den unterschiedlichen Einrichtungen ist der Arbeitseinsatz der Freiwilligen enorm. Und auch die Mailänder Bevölkerung gibt sich solidarisch und großzügig. Es gibt ein mailändisches Sprichwort, mit dem sich die Einwohner identifizieren und selbst beschreiben: „Milano con il cuore in mano.“ (In etwa: Mailand mit dem Herz in der Hand.) Dies zeigt sich nun so deutlich wie nie zuvor!
Verlassene Städte
In diesen Tagen wirken die Städte trostlos und verlassen. In Mailand, dem geschäftigen Zentrum mit seinem pulsierenden Leben, ist es ungewohnt still geworden. Öffentliche Verkehrsmittel fahren zwar, sind aber so gut wie menschenleer. Büros sind geschlossen, viele Unternehmen haben ihre Arbeit eingestellt. Ziel ist es, die Ausbreitung des Virus zu stoppen und sich damit auf die Behandlung der Infizierten zu konzentrieren. Die Betten in den Krankenhäusern sind alle belegt, vor allem auf den Intensivstationen mit den Schwerstkranken. Ein weiterer Anstieg der Zahl der Infizierten würde das gesamte Gesundheitssystem im Land ernsthaft gefährden.
Es gibt immer noch kein Licht am Ende des Tunnels, durch den wir uns durchmanövrieren müssen. Jedoch glauben wir fest daran, gestärkt aus dieser Situation hervorzugehen. Es steht uns noch eine schwierige Zeit bevor, aber wir werden die Hindernisse überwinden, mit denen wir uns konfrontiert sehen.
Mit freundlicher Genehmigung von Scarp de‘ tenis & INSP.ngo.
Wir bedanken uns bei Adriane Dietrich für die kostenlose Übersetzung.
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