Ehrenamtlicher Deutschunterricht für Geflüchtet, wie hier 2016 fotografiert, war und ist während der Pandemie nur noch schwer möglich. Dies verzögert ihre Integration erheblich, wie Studien zeigen (Foto: stock.adobe.com – Frank Gärtner)
Flüchtlinge als Verlierer der Pandemie
Ob Arbeit, Bildung, Gesundheit oder Wohnen: Menschen mit Fluchterfahrung waren besonders hart vom Lockdown und seinen Auswirkungen betroffen. Teilweise waren sie sogar vollständig abgeschnitten von den bisherigen gesellschaftlichen Angeboten. Das bestätigen mehrere Studien. Für ihre Integration ist das ein Rückschlag.
Von Andrea Rothfuß
Deutschland steht noch immer und auch künftig vor der Herausforderung, Menschen mit Fluchterfahrung den Einstieg in unsere Gesellschaft zu erleichtern. Doch die Corona-Pandemie hat das gesellschaftliche Leben in Vereinen oder Freizeiteinrichtungen und die dazu notwendigen Kontakte monatelang auf ein Minimum reduziert, beruflich hat man auf Homeoffice umgestellt, dazu konnten die Schülerinnen und Schüler nicht mehr in den Schulen unterrichtet und die Kinder im Kindergarten betreut werden. Doch gerade diese gesellschaftlichen Felder sind wichtig und dürften nicht lahmgelegt werden, wenn Integration in die Gesellschaft gelingen soll.
Der Forschungsbereich Migration, Flucht und Integration am Institut für Politische Wissenschaft der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg kommt in einer aktuellen Studie zur Schlussfolgerung, dass Menschen mit Fluchterfahrung durch die Corona-Pandemie deutlich ins Hintertreffen gelangt sind. Die Studie „Auswirkungen und Szenarien für Migration und Integration während und nach der COVID-19-Pandemie“ unter der Leitung von Professor Dr. Petra Bendel, Yasemin Bekyol und Marlene Leisenheimer wurde von der Stiftung Mercator gefördert und im April 2021 veröffentlicht. Sie zeigt erste empirische Tendenzen auf und untersucht verschiedene kritische Faktoren wie etwa den Zugang zu Gesundheit, Wohnen, Bildung und Arbeit. Wo war und ist es für Menschen mit Fluchterfahrung schwieriger geworden, wo wurden die Hürden höher und vielleicht gar unüberwindbar?
In Schule und Beruf benachteiligt
Im Bereich der Schulbildung brachte die Pandemie laut Studie teilweise unüberwindbare Hürden mit sich. Für sozial benachteiligte Familien mit Fluchterfahrung sei der Zugang zu Schulbildung nur noch schwer möglich gewesen, ebenso der Zugang zu Sprach- und Integrationskursen. Kurse wurden ersatzlos gestrichen, die Unterstützung durch Ehrenamtliche fiel oftmals weg und die Umstellung auf Homeschooling konnte nur bewältigt werden, wenn die technischen Voraussetzungen auch gegeben waren, wie WLAN oder passende Endgeräte. Doch Kinder, die in Unterkünften für Geflüchtete und Asylsuchende leben, haben laut Studie oft keinen Zugang zum Internet „Mangelnde Sprachkenntnisse oder unterschiedliche Zugangsvoraussetzungen der Eltern von Kindern und Jugendlichen mit Migrationserfahrung erschwerten es vielfach, Kinder im Online-Unterricht zu unterstützen“, so eine Bilanz der Studie.
Auch im Sektor Ausbildung und Arbeit erschwerte die Pandemie Menschen mit Fluchterfahrung den Zugang, denn gerade diese erhalten oftmals über ein Praktikum den ersten Kontakt zum Ausbildungs- oder Arbeitsmarkt. Weiterhin zeigt die Studie auf, dass viele Menschen mit Fluchterfahrung in besonders gefährdeten Berufen tätig sind, weniger feste Anstellungsverhältnisse haben und dafür mehr Jobs, die nicht für das Homeoffice geeignet sind.
Mehrere Studien bestätigen Mängel
Das ifo Institut (Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung an der Universität München e.V.) zeigt in seiner Veröffentlichung „Geflüchtete Kinder und Covid-19: Corona als Brennglas vorhandener Problematiken“ im Dezember 2020 auf, dass nur etwa ein Drittel der Kinder in Sammelunterkünften in Deutschland über einen eigenen Schreibtisch verfügt, nur 56 Prozent Zugang zu Internet und 40 Prozent Zugang zu einem PC haben. Hinzu kommt, dass durch Isolation und Quarantänen in diesen Unterkünften haupt- und ehrenamtliche Helfer nur einen erschwerten oder keinen Zugang haben und daher die Schüler ohne oder mit nur geringer Unterstützung auskommen müssen. Das Fazit des ifo ist daher ernüchternd: Es gibt wenig verlässliche Informationen zu COVID-19 in der Muttersprache, das Leben in Sammelunterkünften behindert das Homeschooling und führt zu Isolation.
Die Studie „SARS-CoV-2 in Aufnahmeeinrichtungen und Gemeinschaftsunterkünften für Geflüchtete: Epidemiologische und normativrechtliche Aspekte“ der Universität Bielefeld von Mai 2020 beschäftigt sich mit der Situation der Menschen in Gemeinschaftsunterkünften und in Aufnahmeeinrichtungen. Hier wird deutlich: Aufgrund der räumlichen Enge – Mehrbettzimmer und gemeinschaftliche Nutzung von Küchen und Sanitäranlagen – ist die Einhaltung von physischer Distanzierung nicht umsetzbar, weiterhin fehlt es an notwendigen Hygieneartikeln und damit der Möglichkeit der Einhaltung von Hygienemaßnahmen. So liegt das Ansteckungsrisiko in Gemeinschaftsunterkünften im Durchschnitt bei 17 Prozent. Im Rahmen von durchgeführten Kollektivquarantänen in Erstaufnahmeeinrichtungen stiegen die Ansteckungsraten teilweise auf bis zu 67 Prozent, die Bewohner mussten sich an Kontakt- und Ausgangssperren halten. Zur Kontrolle wurden dafür Bundeswehr, Polizei oder auch Security-Firmen eingesetzt und teilweise zusätzliche Zäune errichtet, sogar zu Hubschraubereinsätzen kam es – fragwürdige und sicherlich belastende Lebensbedingungen für die Bewohner der Unterkünfte.
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