Viel zu schade zum Wegwerfen – was auch ethisch fragwürdig wäre

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Foodsharing: Wir retten Lebensmittel

Krumme Gurken, überreife Bananen, Äpfel mit kleinen Macken oder zu viel produzierte Brötchen landen normalerweise in der Tonne. Die Initiative Foodsharing rettet diese Lebensmittel, holt sie in Supermärkten oder Bäckereien ab und verteilt sie. Möglichst fair.

 Von Andrea Rothfuß

Freitagabend, 19 Uhr. Die 34-jährige Alena Metzger trifft sich mit einer weiteren Lebensmittelretterin von Foodsharing vor einem Bio-Markt in Göppingen. Die beiden haben sich heute Abend dort verabredet, um Lebensmittel abzuholen, die nicht mehr an die Kunden verkauft werden können. Die Mitglieder der unabhängigen und nicht kommerziellen Initiative Foodsharing sammeln bundesweit ungewollte und überproduzierte Lebensmittel von kleinen und großen Betrieben ein, verteilt und verwertet sie. Teil der Initiative wird man, indem man online auf der Plattform www.foodsharing.de ein anspruchsvolles Wissens-Quiz absolviert und bei drei Einführungs-Abholungen mitmacht. Erst dann ist man zertifiziert und darf selbst Lebensmittel retten.

Metzger engagiert sich, wie alle anderen Foodsaver auch, ehrenamtlich und unentgeltlich: „In erster Linie geht es mir darum, Lebensmittel zu retten. Denn durch Foodsharing wird einem erst so richtig bewusst, wie viele Lebensmittel unnötig weggeworfen werden, obwohl sie noch genießbar sind.“ Julia Röder aus Bad Überkingen ist auch Foodsaverin, vor allem, „um mich und meine Mitmenschen dahingehend zu sensibilisieren, dass die Wertschätzung gegenüber den Lebensmitteln wieder zunimmt. Foodsharing bedeutet für mich nicht primär, diese in Betrieben abzuholen. Natürlich können sicher in einigen Betrieben Lebensmittel vor dem Müllcontainer gerettet werden. Jedoch fällt ein Großteil der weggeschmissenen Lebensmittel in den privaten Haushalten an.“ Sie sieht sich daher auch im Bereich der Aufklärungsarbeit und möchte Fragen nachgehen wie: „Wie können Lebensmittel gelagert werden, dass sie auch mehrere Tage verzehrbereit bleiben? Was bedeutet das Mindesthaltbarkeitsdatum?“ Die 30-Jährige nutzt selbst Tipps auf der Foodsharing-Plattform, wie gerettete Lebensmittel verwendet oder haltbar gemacht werden können.

Teil des gesellschaftlichen Zusammenhalts

Hand hebt Brötchen aus Korb

Auch Brot vom Vortag ist noch verzehrbar

Die Foodsharing-Initiative im Bezirk Göppingen hat aktuell 96 Lebensmittelretter aus dem Kreis Göppingen, 3 Botschafterinnen, die den Bezirk leiten, sowie Kooperationen mit 22 Betrieben. Wer zertifizierter Foodsaver ist, kann sich online für eine Abholung bei einem kooperierenden Betrieb eintragen. Die geretteten Lebensmittel kann er selbst verarbeiten, im Familien- oder Bekanntenkreis weitergeben oder etwa mit den Arbeitskollegen teilen.

Seit einem halben Jahr gibt es außerdem einen öffentlichen Fairteiler am Gemeindehaus der Oberhofenkirche, auch hier kann man Lebensmittel ablegen. Dort befinden sich ein Schrank und ein Kühlschrank, hier kann sich jeder Lebensmittel holen, auch nicht zertifizierte Foodsaver. Oft sind die Lebensmittel kurze Zeit später schon wieder abgeholt – ganz im Sinne von Foodsharing.

Bisher wurden die Botschafter des Foodsharing-Bezirks Göppingen nicht gewählt. Es waren diejenigen, die die Initiative auch initiiert hatten.

Das soll sich jetzt ändern. In Göppingen macht man sich stark, dass künftig Wahlen eingeführt werden. Metzger: „Momentan wird Foodsharing im Bezirk Göppingen durch drei freiwillig agierende Botschafterinnen vertreten. Es sind nun Wahlen geplant, um ein möglichst heterogenes Botschafterteam zu bekommen und mehr Mitspracherecht für die Foodsaver einzuführen.“

Erfreulicherweise gibt es immer mehr Foodsaver, die nicht nur Lebensmittel abholen, sondern sich darüber hinaus für die Sache engagieren wollen. Im Zuge dessen sollen demokratische Strukturen eingeführt werden, trotz der Maßnahmen rund um die Corona-Pandemie soll es künftig wieder einen näheren Austausch mit den zertifizierten Foodsavern im Bezirk geben, um die Verantwortung auf mehrere Schultern zu verteilen.

Aber nicht jeder will teilen

Foodsharing boomt und immer mehr Menschen liegt es am Herzen, nachhaltig und umweltbewusst zu leben. Im Nachbarbezirk Kirchheim/Teck gibt es 232 Foodsaver und mittlerweile 19 Kooperationen mit Betrieben. „Zu den Betrieben gehören kleine Bäckereien, Tankstellen, Einzelhandelsbetriebe, Restaurants und Supermärkte, seit Ende 2020 beispielsweise auch die Schulkantine auf dem Freihof-Areal in Kirchheim unter Teck“, so Maria Scheiding und Nadine Bühr, die beiden Botschafterinnen des Bezirks Kirchheim/Teck. In Kirchheim findet man zwei Fairteiler. Wöchentlich erhalten so etwa 50 bis 80 Kilogramm gerettete Lebensmittel eine zweite Chance – und diese Lebensmittel sind innerhalb kürzester Zeit verteilt.

Der Grundgedanke von Foodsharing impliziert nicht nur das Retten, sondern auch das Teilen von Lebensmitteln. Aber nicht jeder denkt dabei an die Gemeinschaft oder geht fair vor, einige retten in erster Linie für den eigenen Kühlschrank und entwickeln dabei sogar ein gewisses Anspruchsdenken. Verhindern kann man das nicht, sagen die beiden Botschafterinnen aus Kirchheim: „Es gibt immer solche und solche, aber in erster Linie kommt es darauf an, dass die Lebensmittel gerettet werden. Die Motivation darf und muss auch unterschiedlich sein, damit sich möglichst viele Retter finden und engagieren, um möglichst viel vor der Tonne zu retten. Das ist unser Ziel. Dass der ein oder die andere die geltenden Regeln zu seinen oder ihren Gunsten auslegt, kann man nicht verhindern.“

Wo gibt es Fairteiler?

In Göppingen befindet sich der Fairteiler in der Ziegelstraße 1 beim Oberhofenpark. In Kirchheim/Teck gibt es einen an der Sultan-Ahmed-Moschee in der Armbruststraße 23 sowie einen weiteren an der evangelisch-methodistischen Kirche in der Lohmühlgasse 16. Esslingen hat zwei Standorte, zum einen in der Flanderstraße 116 nah der Fachhochschule, zum anderen in der Friedensstraße 6. Stuttgart hat gleich mehrere Fairteiler, unter anderem im Stuttgarter Westen im Foodsharing-Café Raupe Immersatt in der Johannesstraße 97, im Süden in der Möhringer Straße 44B, in Stuttgart-Sillenbuch im Gosheimer Weg 7 und in Degerloch in der Löwenstraße 54. Die Fairteiler werden täglich gereinigt, Maske und Handschuhe sind Pflicht für die Entnahme von Lebensmitteln.

Weitere Informationen zu foodsharing findet man auf www.foodsharing.de.