Foto: Daniel Knaus

„Hoffentlich bekomme ich bald einen Wohnplatz“

Wie die kälter werdenden Nächte Wohnsitzlose bedrohen

Frau Rossi sitzt still auf einer Bank, friert und hofft auf Hilfe. Sie bleibt auch nachts ohne Schutz vor Kälte und Gewalt, weil sie es in der Notübernachtung nicht aushält. „Da sind Besoffene und da wird auch geklaut – dann hast Du am nächsten Tag überhaupt nichts mehr“, erzählt sie. Die freundlich lächelnde Frau, die eigentlich anders heißt, leidet in der herbstlichen Kälte, wie viele Menschen ohne festen Wohnsitz.

Von Daniel Knaus

Sie wünscht sich einen Wohnheimplatz, um wieder arbeiten zu können. „Ich brauche etwas für mindestens einen Monat, wo ich nicht nach einer Nacht wieder im Regen stehe. Denn wie soll jemand einen Job finden, der bei jedem Regen nass wird?“ Früher hat Frau Rossi bei einem großen Unternehmen Schokolade verpackt. Lange dachte sie, bald einen neuen Job zu finden, von der Straße aus ist das aber schwer – und wird demnächst noch schwerer. „Im Frost draußen zu schlafen, ist hart. Du wachst zitternd auf, Dir geht es schlecht und immer schlechter“, berichtet Frau Rossi.

Die Notunterkunft meide Frau Rossi auch, weil sie ihren zur Karre umfunktionierten Kinderwagen keine Treppen hochtragen kann. Das Hilfsmittel braucht sie aber, um Taschen und Decken bewegen zu können. Lässt sie das Wägelchen stehen, verschwindet es. Auf der Straße ist alles erschreckend schwierig: Die kalten Nächte übersteht Frau Rossi nicht ohne ihre Decken, diese muss sie aber auch immer mit sich schleppen. Sie braucht ihre Taschen, um ihre wichtigen Dinge behalten zu können, muss sie aber auch ständig vor Diebstahl und dem Wetter bewahren. An ihr ist eine Jacke kein modisches Statement, sondern Ausrüstung für das Überleben.

„Es gibt eben viele Menschen, die nicht erfrieren wollen.“

Nachmittags scheint noch etwas Sonne auf die Bank, der Platz unter einem Baum wirkt fast idyllisch. Bereits im Oktober beginnen aber mit der Dämmerung die gefährlichen Stunden. Ein anderer Notleidender beschreibt das so: „Die Kälte kann einen anfressen. Man klappert in der Dunkelheit mit den Zähnen und fühlt sich schwach. Dann läuft man umher, um nicht zu erfrieren, und ist bald zum Sterben fertig.“ Frau Rossi hofft, noch vor dem Winter einen Wohnheimplatz zu bekommen. Dazu war sie bei der Sozialberatung. Jetzt muss sie aber erstmal noch durchhalten und ertragen, was den meisten Menschen unerträglich scheint.

Zwei, drei Tassen seien wichtig, um im Winter auch einen weniger kalten Tag zu überstehen – und sich manchmal sogar irgendwo hinsetzen zu dürfen, wo es wärmer ist und kein Wind bläst. An gemütliche oder schicke Cafés wagt Frau Rossi dabei nicht einmal zu denken. „Da kostet ein Tee schon Dreifünfzig“, bemerkt sie. Ihr gutmütiges Erstaunen macht hörbar, wie sehr das Leben auf der Straße ausgrenzt. Was für sie eine große Wohltat scheint, ist für andere Menschen ja Alltag. Für die Ärmsten seien allerdings auch in den Wohnheimen die Plätze knapp, sagt Frau Rossi. „Es gibt eben viele Menschen, die nicht erfrieren wollen.“

Frau Rossi will wieder arbeiten, es fehlt ihr aber am Nötigsten

Ein Job würde sie zufrieden machen, sagt sie. Für ein bisschen Optimismus brauche sie auch nicht viel: Ein Zimmer unter anderen Frauen, Gemeinschaftsdusche und -küche. In einiger Zeit erfahre sie von einer sozialen Einrichtung, ob sie einziehen darf. „Ich kann nur hingehen und fragen.“ Eine eigene Wohnung zu haben, „wäre ein Traum“, jetzt hofft Frau Rossi aber erstmal nur auf einige Quadratmeter für sich. Die Räder ihres Wagens gehen kaputt. Mit ihm verliert sie auch die Möglichkeit, ihre Sachen zu transportieren. „Ich kann auch schlecht einen neuen bekommen, weil Menschen wie ich nicht auf Flohmärkte dürfen.“

Ein neuer Wagen sollte eine Plastiküberdachung haben. Auf der Straße ist er schließlich der Witterung ausgesetzt. Halte er unter den Bedingungen hier ein Jahr durch, sei das gut, sagt Frau Rossi mit ernster Stimme. Über ihre eigene Gesundheit spricht sie nicht. Sie gibt sich positiv: „Ein fixer Platz – dann kann ich auch wieder arbeiten.“ Aber zur anbrechenden Nacht muss sie wieder draußen schlafen, obwohl die hastenden Passanten teils schon Mützen und Handschuhe tragen. „Hoffentlich bekomme ich bald einen Wohnplatz.“


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