Foto: Emma, Lukas der Lokomotivführer, Jim Knopf und Herr Tur Tur (Fotograf: Elmar Herr; Copyright (C) Augsburger Puppenkiste (R); freundlicherweise zur Verfügung gestellt von Augsburger Puppenkiste und Augsburger Puppentheatermuseum)

Dieser Artikel erschien erstmals in der Literatur-Sonderausgabe Oktober 2019.

KINDERBUCHKLASSIKER UMSCHREIBEN? Pro und Contra in Sachen N-Wort

Pro: Das N-Wort streichen

Auszug aus „Hört auf zu fragen. Ich bin von hier!“ von Ferda Ataman

Vor ein paar Jahren hatten sich der Autor Otfried Preußler und der Thienemann Verlag bereit erklärt, die Wörter „N***lein“, „Türken“, „Zigeuner“ und andere diskriminierende Begriffe im Buch „Die kleine Hexe“ zu streichen. Zuvor wurde auch schon das Kinderbuch „Pippi Langstrumpf“ politisch korrigiert: Aus dem N-König wurde ein Südseekönig. Daraufhin plädierte die Wochenzeitung „Die Zeit“ dafür, die Originalwörter in Kinderbüchern stehen zu lassen.

Sie druckte im Januar 2013 eine Titelseite mit einem blauen Buch, auf dem in großen Buchstaben stand: „Kinder, das sind keine N***!“ Natürlich ausgeschrieben. Die Zeitung widmete dem Thema mehrere Seiten, in denen sie das üble Schimpfwort fast 50 Mal ausschrieb (auf einer Seite ganze 23 Mal). Eine geschmacklose Machtdemonstration mit verbaler Gewalt. Ein interviewter Psychologe sprach von „Zensur“, ein Journalist regte sich – ja wirklich – über die Aggressivität der N-Wort-Kritiker auf.

Obwohl uns noch keine Rechtspopulisten vor sich hertrieben, setzten sich mehrere Autoren im Jahr 2013 in einem seriösen Medium für das Recht ein, rassistische Schimpfwörter zu verwenden, ohne gleich Kritik zu ernten. Weil man das früher ebenso sagte, ohne es böse zu meinen. Und weil der Kinderbuchautor ein guter Mensch war. Weil man den Kindern den Kontext ja erklären könne.

Wie kann man darauf beharren, das N-Wort in Kinderbüchern zu benutzen?

Es gab niemals, wirklich niemals, einen Kontext, in dem das Wort keine Erniedrigung und Beleidigung war. Es stand schon immer in direktem Zusammenhang mit Gewalt, Sklaverei und Kolonialismus. Nur waren wir früher eben noch nicht – Achtung – politisch korrekt. Es wurde keine Rücksicht auf die Sichtweise von schwarzen Menschen genommen, weil schwarze Menschen nicht als Gleichberechtigte gesehen wurden und leider nichts zu melden hatten. Heute ist das anders. Das ist großartig und kein Weltuntergang.

Ich mag „Die kleine Hexe“. Und auch ich fühlte mich ertappt: Mir waren die bösen Wörter vorher nicht aufgefallen. Bei Pippi auch nicht. Ja und? Deswegen stemme ich mich doch nicht dagegen, dass sie in künftigen Auflagen durch andere Wörter ersetzt werden. Das ganze Buch ist längst anders formuliert als in der Erstauflage 1957. Unsere Sprache ändert sich nun mal, und der Common Sense für Anständigkeit auch. Ich gehöre zu denen, die Grenzen für Sagbares gut finden. Ob Sie das nun politisch korrekt nennen oder Rücksicht im Miteinander, ist mir egal. Und ich finde es richtig, Kindern und Erwachsenen keine Bücher vorzulegen, in denen man sich erst kritisch-historisch mit der Semantik auseinandersetzen muss.

Contra: Mit Behutsamkeit und Verstand

Von Nico Nissen

Die Entscheidung darüber, ob mittlerweile als beleidigend empfundene Worte wie „Neger“ durch andere ausgetauscht werden, kann man offenbar den Autorinnen und Autoren selbst sowie ihren Erben, Lektoren und Übersetzern überlassen. Dies zeigen die Fälle der letzten Jahre deutlich. Für „Die kleine Hexe“ und ihren verstorbenen Autor Otfried Preußler entschieden dessen Erben, „Negerlein“ und andere veraltete und inzwischen als abfällig verstandene Worte zu streichen. Preußler hatte sich anfangs gegen eine Überarbeitung seines Werkes gewehrt, seine Ansichten darüber in seinen letzten Lebensjahren aber wohl geändert. Ähnlich war dies bei Astrid Lindgren: Erst nach ihrem Tod wurde der Titel „Negerkönig“, den Pippi Langstrumpfs Vater neben vielen anderen trug, ersetzt durch „Südseekönig“. Aber schon vor der endgültigen Änderung hatte der Verlag in einer Fußnote erklärt, dass man heute „Schwarzer“ sagen würde. In der DDR war er übrigens von Anfang an „König der Takatukaner“, was den Staat zwar nicht weniger rassistisch, doch dafür politisch korrekter machte.

Für Sprachhistoriker wie mich ist die Diskussion deshalb befremdlich, weil viele Teilnehmende ausblenden, dass Begriffe im Laufe der Zeit einen Wandel erfahren können. So ist auch Atamans Behauptung, dass es „niemals“ einen Kontext gegeben habe, „in dem das Wort keine Erniedrigung und Beleidigung war“, sicher falsch. Die Sprachhistorikerin Ulrike Kramer hat dies in ihrer 2008 erschienen Studie „Neger heißt nicht (bloß) ‚schwarz‘“ nachgewiesen und festgestellt, dass der Begriff nicht nur einen Wandel in seiner Wertung erfahren habe, sondern dieser sich zudem in bestimmten sozialen Gruppen langsamer oder gar nicht vollziehe. Menschen, die schlechter gebildet seien oder – wie Preußler – einer älteren Generation angehören würden, würden ihn noch verwenden, ohne den damit Bezeichneten abwerten zu wollen. Jenen Rassismus vorzuwerfen, wäre versnobt.

Zudem muss Autorinnen und Autoren auch weiterhin erlaubt sein, den Begriff „Neger“ zu verwenden, um kontextuelle Botschaften zu vermitteln. Wenn sie das tun, haben sie sich dabei etwas gedacht. Man stelle sich zur Veranschaulichung bitte einen Roman, einen Film oder ein Theaterstück vor, in dem eine eigentlich offen rassistische Figur sich um politisch korrekte Ausdrucksweise bemüht!

Einer der besten von tausenden Belegen dafür ist sicher „Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer“ von Michael Ende, dem man sicher keinen Rassismus vorwerfen kann. Ganz im Gegenteil richtet sich sein Werk deutlich gegen rassistische Vorurteile und wird sogar als Kritik gegen den zur Entstehungszeit in den fünfziger Jahren noch lebendigen nationalsozialistischen Geist interpretiert. Er verwendet „Neger“ nur an einer Stelle des Buches, und zwar in wörtlicher Rede einer Nebenfigur, die auch in anderen Szenen schlecht wegkommt. Aber schon in der Verfilmung von 1961 vermied die Augsburger Puppenkiste das „N-Wort“ – warum, konnte sie mir nicht mehr sagen –, und selbstverständlich ist es auch in der jüngsten Verfilmung von 2018 nicht zu hören.

Natürlich sollte man den umstrittenen Begriff nicht im Alltag verwenden und tunlichst darauf verzichten. Doch an den möglichen Ersatzbegriffen wie „Farbiger“ oder „Schwarzer“ zeigt sich, was man ebenfalls an „Behinderter“ oder „Flüchtling“ sieht: Anfangs oft gutgemeinte oder neutrale Begriffe für Minderheiten werden oft nach einem „negative Turn“ als diskriminierend oder rassistisch empfunden und verschlimmbessert statt gerettet. So wurde aus dem Flüchtling vorübergehend ein „Flüchtender“, dessen Flucht dem ursprünglichen Wortsinn nach nie enden wird, dann ein Geflüchteter. Und aus dem Behinderten wird der „Mensch mit Behinderung“, der eigentlich Teil der Gesellschaft sein sollte, aber dessen Zugehörigkeit zur Menschheit man dennoch meint, besonders feststellen zu müssen. Wäre es da nicht sinnvoller, sich gegen die feindliche Übernahme der Deutungshoheit der Worte durch Rassisten und andere Menschenverachter zur Wehr zu setzen und ihre Umbewertung nicht zuzulassen? Sollte ein „Mann dunkler Hautfarbe“ sich nicht so selbstbewusst „Schwarzer“ nennen können, wie es ein „black man“ aus den USA tut? Homosexuellen Männern ist beim ursprünglich abwertenden „schwul“ sogar ein „positive Turn“ gelungen, indem sie den Begriff konsequent als selbstbewusste Eigenbezeichnung verwendeten.

Buchcover

Ferda Ataman: Hört auf zu fragen. Ich bin von hier! S. Fischer Verlag, Frankfurt 2019, 208 Seiten, gebunden, 13 €, ISBN 978-3-10-397460-7

Ferda Ataman hat die Streitschrift 2019 veröffentlicht. Sie erklärt, warum es aus ihrer Sicht Zeit ist, Deutschland als Einwanderungsland anzuerkennen und alte Vorurteile abzulegen. Die Publizistin ist Vorsitzende im Verein „Neue deutsche Medienmacher“, der größten bundesweiten Initiative von Journalist*innen of Color. Für Spiegel Online schrieb sie bis Februar 2020 die Kolumne „Heimatkunde“.

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