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Politiker und Geschäftsleute, Gefängnisinsassen und Prostituierte – Wie eine Übersetzerin Brücken baut

Wie finden wir zueinander, wenn wir uns nicht verstehen? Zum Glück gibt es Sprachmittlerinnen und -mittler! Diese übersetzen die geschriebene Sprache und dolmetschen die gesprochene. „Beeidigte und öffentlich bestellte“ Mittler müssen besonders qualifiziert sein, um vom Alltag bis zum Gericht jede Sprachverwirrung klären zu können. Was sie dabei erlebt, erzählt uns Mariana Recker, die in Stuttgart ein rumänisch-deutsches Übersetzungsbüro führt.

Von Daniel Knaus

Sie schaffen die Grundlage für Entscheidungen. Was fühlen Sie dabei? 

Verantwortung. Ich muss konzentriert arbeiten, damit zum Beispiel ein Notar und die Vertragsparteien mir vertrauen können. Dass ich sorgfältig vorgehe, habe ich eidlich versprochen. Das war im Oberlandgericht Stuttgart und sehr feierlich. Eine staatliche Aufgabe zu erfüllen, finde ich bedeutsam. Während eines Prozesses trage ich Verantwortung, die Rechte der Beteiligten zu wahren. Da ist wichtig, wer welche Worte in welchem Ton sagt. Meine Berufsethik beinhaltet, auf Perfektion abzuzielen und stets integer zu bleiben, unparteiisch und verschwiegen.

Was brauchen Ihre alltäglichen Klienten?

Sie benötigen beglaubigte Übersetzungen von ihren Dokumenten, beispielsweise um eine Ausbildung anerkennen zu lassen und qualifiziert arbeiten zu können. Sie brauchen aber auch praktische Unterstützung, etwa um die ärztliche Aufklärung vor einer OP zu verstehen. Das Dolmetschen bedeutet dann sprachliche und kulturelle Assistenz. Natürlich kenne ich auch Live-Situationen auf politischer und wirtschaftlicher Ebene: Staatsbesuche, Messen oder Konferenzen. Während Verhandlungen muss ich die vielfältigen Register der Kommunikation berücksichtigen – das Gesagte und das Gemeinte, die Mimik und das Schweigen … 

Welcher Job war Ihr schwierigster? 

Das Simultanübersetzen. Sprache in Echtzeit zu vermitteln, ist gerade auf großen Veranstaltungen ein Erlebnis. Das ist geistiger Hochleistungssport. Ich erinnere mich an eine Pressekonferenz hier in Stuttgart, auf der ich für die rumänische Tourismusministerin gedolmetscht habe. Ein Beteiligter sprach sehr viel, ohne Punkt und Komma – da musste ich schnell mitdenken. Wache Sinne sind auch während der Arbeit für psychologische Gutachter gefragt, beispielsweise im Falle eines Mädchens, das aus einem Heim weglief. Ein Mensch in der Krise spricht nicht nur in klaren Worten. Gutachter fragen mich dann nach meiner Einschätzung als Muttersprachlerin, wie manche Stimmungen zu verstehen sind.

Kulturvermittlung und Integrationshilfe

Nahaufnahme eines Stempels auf einem Stempelkissen

Ihre Übersetzungen beglaubigt Recker mit dem Stempel. „Eine staatliche Aufgabe zu erfüllen, finde ich bedeutsam.“ (Foto: Daniel Knaus)

Was ist mit den sozialen Seiten Ihrer Arbeit? 

Ich habe auch eine beratende Funktion. Einwanderer benötigen eine Krankenversicherung, eine Wohnung und wollen die Verträge verstehen, nicht zuletzt den Arbeitsvertrag: was ihnen angeboten wird, was ihre Aufgaben sind und welche Abgaben den Unterschied zwischen Brutto und Netto machen. Oft sind sie enttäuscht, dass sie für harte Arbeit weniger verdienen als erhofft. Natürlich informiere ich sie über Integrations- und Weiterbildungskurse. Übrigens ist auch die Kindergarten- oder Schulsuche ohne Sprachkenntnisse sehr schwierig.

Wie erleben Sie das Thema Integration? 

Meine Klienten sind im Gastland eine Minderheit und befinden sich also oft in asymmetrischen Verhältnissen, geprägt durch einen ungleichen Wissensstand auch hinsichtlich kultureller Normen. So muss ich nicht nur Missverständnisse ausräumen und Hemmschwellen abbauen, sondern auch Mediationen und Konfliktmanagement leisten. Integration passiert nicht stillschweigend – nur durch Kommunikation kommt es zu Verständigung. Allgemein erlebe ich meine Klienten aber als sehr strebsam. Beispielsweise betreue ich auch Gesundheits- und Krankenpflegende. Übrigens brauchen im bürokratischen Bereich auch Menschen Hilfe, die kompetent Deutsch sprechen. Wer weiß schon, was die „Haager Apostille“ ist?

Sie arbeiten auch im Gefängnis. 

Damit beispielsweise jemand in der Untersuchungshaft fremdsprachige Korrespondenz führen darf, muss diese übersetzt werden. Die Briefe werden mir von den Justizvollzugsanstalten zugeschickt. Angehörige kontaktieren mich, um für sie eine Besuchserlaubnis bei der Staatsanwaltschaft zu beantragen. Bei den Besuchen muss ich anwesend sein. Für Anwälte dolmetsche ich die Prozessvorbereitung mit ihren Mandanten. Diese Gespräche sind oft emotional und chaotisch, schließlich stehen die Inhaftierten unter großem Stress. Ich muss dann in Absprache mit dem Strafverteidiger viele Rückfragen stellen.

Schutz von Frauen braucht die richtige Sprache

Statue eines Engels auf einer Säule

Auf der Verfassungssäule vor dem Landgericht Stuttgart wacht ein Genius. Der „Schutzgeist“ erhebt seine linke Hand wie zur Abwehr, während er eine Schlange zertritt – das Böse (Foto: Daniel Knaus)

Was beschäftigt die Inhaftierten? 

Sie möchten genau verstehen, was ihnen vorgeworfen wird, und sorgen sich, dass nicht genau verstanden wird, was sie getan haben und was sie nicht getan haben. Manchmal haben sie die Befürchtung, ihnen werde etwas angehängt. Wie das Justizsystem funktioniert, wissen sie zunächst nicht. Der Verteidiger und ich erklären ihnen dann, dass er ihnen amtlich beigeordnet ist und gesetzlich verpflichtet, ihre Rechte zu verteidigen. Viele haben auch Probleme mit anderen Inhaftierten. Die Meisten beschäftigt, wie sie ihre Familie kontaktieren können und Besuch bekommen. Einige sind krank oder leiden durch die Situation psychisch.

Arbeiten Sie auch besonders für Frauen? 

Für die Stadt Karlsruhe habe ich eine Broschüre zur „Gewalt gegen Frauen“ übersetzt, welche in vielen Sprachen veröffentlicht wurde und sich auch an rumänischsprachige Menschen wenden sollte. Zudem habe ich mit Frauen gearbeitet, die in Stuttgart in Prostitution gerieten. Sie wurden aus Rumänien und der Republik Moldau unter der Vortäuschung hierher gebracht, dass sie in der Gastronomie arbeiten dürften. Hier angekommen, wurden ihnen aber die Pässe abgenommen und sie erfuhren schockiert, dass sie für Reise und Unterbringung schon sehr hohe Schulden hatten – bei den vermeintlichen Arbeitsvermittlern, eigentlich Menschenhändlern. So landeten sie im Bordell oder auf der Straße und wurden an der Flucht gehindert.

Wie ging es für diese Frauen weiter? 

Sie standen unter großem Stress, weil ihre Vorstellungen von der westlichen Welt schon kurz nach ihrem Ankommen auf den Kopf gestellt wurden. Das städtische Frauenhaus hat ihnen dann die Rückreise nach Rumänien ermöglicht. Ich habe beim Generalkonsulat von Rumänien neue Pässe für sie besorgt. Verschiedene Institutionen bemühten sich, Frauen vor Ort über den Betrug aufzuklären. Dafür habe ich Texte übersetzt. Das hilft aber nicht den Frauen, die schon hier sind; die brauchen Sicherheit und auch Hilfe dabei, in ihr Land zurückzukehren oder Deutsch zu lernen und sich beruflich zu entwickeln.