Der Beruf des Schäfers erfordert Ausdauer, Geduld – und neben Leidenschaft eine gewisse Duldsamkeit (Fotos: Waltraud Günther)

Rund um die Uhr fürs Wollvieh

Schäfer entbehren Sicherheit und Freizeit

Wenigstens auf den ersten Blick scheinen die knapp 100 hauptberuflichen Schäfer in Baden-Württemberg und die rund 1.000 Berufsschäfer bundesweit mit ihrer Berufswahl das große Los gezogen zu haben.

Von Waltraud Günther

Versetzt doch der Anblick eines Schäfers, der im Sonnenschein mit wettergegerbtem Gesicht inmitten seiner friedlich grasenden Schafherde und fröhlich blökender Lämmer auf einer grünen Wiese steht, den Betrachter geradezu in eine Heile-Welt-Stimmung. Gerne bleiben Spaziergänger stehen, um mit dem – meist lebenserfahrenen – Schäfer einige Worte zu wechseln. Und während dieser geduldig darauf wartet, bis seine Schafe auf saftiger Weide genügend Futter gefunden haben, sorgen seine Hütehunde dafür, dass kein Schaf ausbüxt. „Schäferleben, von Gott gegeben“, diese alte Schäferweisheit fällt einem dazu ein.

Mit der rauen Wirklichkeit des Schäferlebens hat dies allerdings recht wenig zu tun, denn ganz so idyllisch gestaltet sich der Arbeitsalltag eines Schäfers in keiner Weise. Die Bedingungen sind mehr als schwierig, denn trotz aller Anstrengung ist betriebswirtschaftliches Handeln nahezu unmöglich. Damit eine Schäferei überhaupt gewinnbringend bewirtschaftet werden kann, müssen viele Faktoren ineinandergreifen: Dazu braucht es eine Herde von mehr als 600 Mutterschafen und große Stallgebäude für den Winter und für das Winterfutter. Benötigt werden zudem genügend und möglichst zusammenhängende Weideflächen und profitable Pflegeverträge. Hilfreich sind ferner gute Vermarktungsmöglichkeiten für Lammfleisch und Schafprodukte. Unabdingbar aber ist die Bereitschaft des Schäfers, an 365 Tagen im Jahr von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang für seine Tiere da zu sein, auch bei brütender Hitze, bei Regen, Schnee und Kälte. Erschwerend hinzu kommen immer schwierigere Hütebedingungen, sei es durch die zunehmende Zersiedelung der Landschaft, durch die zusammenhängende Weideflächen zerschnitten werden, sei es durch die Zunahme des Verkehrs, durch vermehrte Bürokratie, aber auch durch die aufwendige und notwendige Wolfsprävention.

Blick über eine sehr große Schafherde

Eine Handvoll Schafe genügt nicht mehr, um den eigenen Lebensunterhalt zu erwirtschaften

Wirtschaftliche Erfordernisse gegen romantische Vorstellungen

Auch was die wirtschaftliche Situation anbelangt, sind die Aussichten alles andere als rosig. Die Einnahmen aus Fleisch- und Wollverkauf decken heute nur noch rund 1/3 der Betriebseinnahmen, der Rest muss über Landschaftspflegeprämien erwirtschaftet werden. Diese erhalten Schafhalter aus gutem Grund, denn Schafherden pflegen unsere heimische Landschaft extensiv, ob Steillagen, Deiche oder empfindliche Biotope. Schäfer und ihre Herden schützen und erhalten so einzigartige Lebensräume und seltene Tier- und Pflanzenarten, tragen zum Natur-, Boden- und Wasserschutz und zum Erhalt der Artenvielfalt bei.

Was die betriebliche Organisation einer Schäferei anbelangt, wird zwischen Wanderschäferei und standortgebundener Hütehaltung unterschieden. Nur noch wenige Schäfer sind als Wanderschäfer unterwegs, ob auf der Schwäbischen Alb oder im Schwarzwald. Wenn der Sommer zu Ende geht, wandern sie mit ihren Herden hinab ins wärmere und schneearme Rheintal, um dort den Winter zu verbringen.

Auf ihrer Wanderschaft sind Wanderschäfer auf die Hilfe einer zweiten Kraft – oft ist dies die Ehefrau – angewiesen. Sie hat die Aufgabe, die von Schäfer und Schafherde zurückgelegte Wegstrecke – je nach Futterangebot sind dies zwischen fünf und zehn Kilometer –mit Auto und Anhänger zu begleiten und das Überqueren stark befahrener Straßen zu sichern. Klar, dass es dabei häufig zu gefährlichen Situationen kommt – ob mit Autos oder uneinsichtigen Hundebesitzern. Übernachtet wird heute nicht mehr im Schäferkarren, sondern entweder im Wohnwagen oder – nach langer Rückfahrt – zu Hause: „Ein bisschen Zivilisation möchte man doch haben“, begründet dies eine Schäfersfrau.

Dienstreisen statt Urlaub

Kein Wunder, dass unter diesen Vorbedingungen inzwischen die Mehrheit der Schäfereien in standortgebundener Hütehaltung betrieben wird. Dabei werden mit speziellen Netz-Systemen große Flächen rund um den Betrieb eingezäunt; je nach Futtervorkommen reichen diese Parzellen für zwei bis drei Tage. „Dabei bleibe ich fit, andere fahren mit dem Rad oder gehen ins Fitness, das brauche ich nicht“, beschreibt Schäfer Holzapfel die schweißtreibende Arbeit des „Koppelns“.

Eine Gemeinsamkeit kennzeichnet alle Schäferdynastien: Urlaubsreisen werden keine gemacht – und dies wird nicht bedauert. Einen großen Reisewunsch hat der alte Schäfer Holzapfel allerdings bis heute: Einmal im Leben möchte er das Meer sehen. Sein Berufskollege Fehrenbacher dagegen konnte es sich bei der Überfahrt nach England ansehen – auf einer Jahre zurückliegenden Dienstreise, um die Schafherde eines Verwandten zu hüten: „Danach war ich allerdings völlig erledigt“, fasst der lebenskluge Schäfer seine einmalige Reiseerfahrung zusammen.

„Kleine Fluchten“ aus dem Alltag gönnen sich viele Schäferehepaare trotz allem. Da gibt es die gemeinsamen Fahrten zu den Bockauktionen, ob zur Tierzuchthalle nach Herrenberg oder ins bayerische Ansbach, dazu gehört auch die Fahrt zur Gerberei, um die eingesalzenen Schaffelle abzugeben. Höhepunkt für viele ist im August ein Besuch beim Leistungshüten, beim Schäferlauf in Markgröningen oder bei den Schäferfesten in Bad Urach oder in Wildberg.

Schäfer, bekleidet mit Hut und regenfester, brauner Kleidung, und Hütehund, im Hintergrund am Waldrand eine große Herde Schafe

Schäfer Karl Holzapfel bereut seine Berufswahl trotz des geringen Verdienstes nicht

Die letzten ihrer Art?

Wie wird man Schäfer? Schäfer ist ein dreijähriger Ausbildungsberuf, der in dualer Ausbildung im Ausbildungsbetrieb und in der Berufsschule gelernt wird. Klauenpflege, Schafkrankheiten, Hütetechniken und moderne Betriebsführung stehen ebenso auf dem Stundenplan wie Schlachtkörperkategorien und Buchhaltung. Dazu benötigt ein Schäfer zahlreiche weitere Fähigkeiten: Seine Schafe müssen einmal pro Jahr geschoren, die Hütehunde an ihre Aufgaben herangezogen, alle Klauen regelmäßig geschnitten, Parasiten bekämpft und Lämmer geschlachtet werden.

Ein Blick in die Zukunft: Der Dachverband der Berufsschäfer geht von einem Durchschnittsalter von 56 Jahren aus; nur 5 Prozent der Mitglieder sind unter 40 Jahren. Zudem sinkt die Zahl der gehaltenen Schafe und die Anzahl der Schäfereien ständig. Knapp 1,5 Millionen Schafe wurden im vergangenen Jahr in Deutschland gezählt, Tendenz stark rückläufig. Und obwohl Schäfer eine von der Gesellschaft erwünschte und ökologisch überaus wertvolle Arbeit leisten, betrug der erwirtschaftete durchschnittliche Stundenlohn lediglich 4,85 Euro. Trotzdem erklären alle für diesen Artikel befragten Schäferfamilien übereinstimmend, dass für sie kein anderer Lebensentwurf als der des Schäfers vorstellbar ist.


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