Matthias Erzberger 1918 als Staatssekretär (Foto: Haus der Geschichte Baden-Württemberg)

Tod eines Demokraten

Zum 100. Todesjahr von Matthias Erzberger

Er stammt aus einem kleinen Ort auf der Schwäbischen Alb und wird Teil der großen Politik zwischen Kaiserreich und Weimarer Republik. 1921 ermorden ihn zwei Rechtsterroristen: Matthias Erzberger, Journalist, Gewerkschafter, Politiker.

Von Monika Kleusch

Der Trauerzug, der sich am 31. August 1921 durch Biberach schiebt, gleicht einer Demonstration. Zu Grabe getragen wird einer der profiliertesten Politiker der damaligen Zeit – und einer der meistgehassten. Kurt Tucholsky dichtete in seinem bitteren „Nachruf“: „Gehaßt, weil du Konkursverwalter / der Pleitefirma Deutsches Reich, / liegst du zerschossen als ein kalter / und toter Mann – und Deutschland ist das gleich.“

Das Deutsche Kaiserreich ist gerade einmal vier Jahre alt, als Matthias Erzberger am 20. September 1875 im 2.000-Seelen-Dorf Buttenhausen zur Welt kommt. In Stuttgart regiert König Karl und in Berlin Kaiser Wilhelm I. Als Katholiken gehören die Erzbergers einer Minderheit an, die höheren Orts ähnlich misstrauisch beäugt wird wie die Sozialdemokraten. Die einen wie die anderen passen nicht fugenlos in den Obrigkeitsstaat.

Aus kleinen Verhältnissen in den Reichstag

Matthias ist das älteste von sechs Kindern. Der Vater, gelernter Schneider, bessert als Postbote das Familieneinkommen auf. In der Schule fällt der junge Erzberger als talentiert auf, aber für ein richtiges Studium reicht das Geld nicht. Also absolviert er eine zweijährige Ausbildung zum Volksschullehrer, die er 1894 als Jahrgangsbester abschließt.

Nur zwei Jahre hält es den Jungpädagogen im württembergischen Schuldienst. Ein Mitbegründer der katholischen Zentrumspartei in Württemberg holt das politische Talent nach Stuttgart. Dort kommt seine spitze Feder fortan in der Redaktion des katholischen Deutschen Volksblatts zum Einsatz. Außerdem arbeitet er für den „Volksverein für das katholische Deutschland“, engagiert sich in der christlichen Gewerkschaft und der katholischen Zentrumspartei. Die politisch-sozialen Organisationen verstehen sich als christliches Gegengewicht zur „gottlosen“ SPD.

1903 der Karrieresprung: Mit nur 28 Jahren wird Erzberger als Abgeordneter der Zentrumspartei in den deutschen Reichstag gewählt, wo er der jüngste ist. Er zieht mit seiner Familie nach Berlin und kniet sich in die parlamentarische Arbeit. Er ackert sich durch Aktenberge und zieht nebenher einen eigenen Presse- und Nachrichtendienst auf, der ihm öffentliche Aufmerksamkeit bringt. 6.000 Druckseiten wird er bis zum Ersten Weltkrieg verfassen – sein Lebensunterhalt. Die ersten kargen Diäten für Politiker werden erst 1906 eingeführt.

Der junge Schwabe, der seinen Dialekt nie ablegen wird, erwirbt sich einen Ruf als bissiger, brillanter Redner, der keine Auseinandersetzung scheut. Als kolonialpolitischer Sprecher seiner Fraktion prangert er einige skandalöse Vorfälle in Übersee an. Vor allem aber macht er sich als Finanzpolitiker einen Namen. Bereits nach einem Jahr sitzt er in der einflussreichen Budgetkommission, wo er vor allem sozial- und militärpolitische Themen bearbeitet.

Konkursverwalter des Kaiserreichs

Wie viele Politiker der Zeit ist Erzberger Befürworter eines militärisch starken Deutschlands. Als 1914 der Erste Weltkrieg ausbricht, baut er ein zentrales Nachrichtenbüro auf, um das deutsche Ansehen im Ausland positiv zu beeinflussen. So kommt er mit wichtigen Entscheidungsträgern des Auswärtigen Amts, des Kriegsministeriums und des Reichsmarineamts in Kontakt.

Mitte 1917 wird Erzberger klar, dass die deutsche Niederlage nicht mehr aufzuhalten ist. Er fordert im Reichstag einen Verständigungsfrieden ohne Annexion der deutsch besetzten Gebiete und löst damit einen Aufschrei der Wut bei Politik und Presse aus dem rechten Spektrum aus. Eine Schmutzkampagne unterstellt ihm, vom feindlichen Ausland gekauft zu sein.

Doch als die unvermeidliche Niederlage Anfang November 1918 offensichtlich wird, schleichen sich die Eisenfresser und Schreihälse aus der Verantwortung. Der Staat löst sich auf. Kaiser Wilhelm II. setzt sich ins Exil ab. Reichskanzler Prinz Max von Baden tritt zurück. Nun soll mit Erzberger, mittlerweile Staatssekretär, erstmals ein Politiker und nicht ein Militär Waffenstillstandsverhandlungen führen.

Ausgestattet mit einer Sondervollmacht fährt er als Leiter einer vierköpfigen Delegation an die Front. Am 11. November 1918 setzt er als erster Deutscher seine Unterschrift unter den Waffenstillstand von Compiègne. Damit sind die Kampfhandlungen beendet. Neun Millionen Tote füllen die Soldatenfriedhöfe der beteiligten Nationen.

Der Zentrumspolitiker wird zur Hassfigur. Mangels Alternativen befürwortet er 1919 auch den Friedensvertrag von Versailles mit seinen äußerst harten Bedingungen für das besiegte Deutschland. Ein aufstrebender Demagoge trifft die weit verbreitete Stimmung: Erzberger sei einer der „größten Lumpen, der durch Unterzeichnung Volk und Vaterland verraten“ habe. Sein Name: Adolf Hitler. Schmutz- und Hetzkampagnen bis hin zur körperlichen Bedrohung werden Erzbergers Leben bis zu seinem gewaltsamen Ende begleiten.

Steuerreformer in der Weimarer Republik

In der Weimarer Republik setzt Erzberger seine politische Karriere fort. Als Finanzminister vereinheitlicht und zentralisiert er 1919/20 das Steuerwesen und führt damit die umfassendste Reform der deutschen Finanzgeschichte durch. Sein Ansatz: Die Höhe der Steuern soll sich nach der finanziellen Leistungsfähigkeit richten. Der Spitzensteuersatz von 60 Prozent für Besserverdienende und die gleichzeitige Erhöhung des Existenzminimums für Niedriglöhner tragen weiter zu seiner Unbeliebtheit in höheren Kreisen bei.

1920 tritt Erzberger als Finanzminister zurück. Ein gut vernetzter rechter Politiker hatte ihn beschuldigt, eine „unsaubere Vermischung politischer Tätigkeit und eigener Geldinteressen“ zu betreiben. Der darauf angestrengte Verleumdungsprozess endet zwar mit einem Schuldspruch des Verleumders, doch die Strafe ist lächerlich. Begründung des hohen Gerichts: Den Angeklagten hätten „höhere Motive“ geleitet.

Erzberger zieht sich zurück und widmet sich dem Schreiben. Im August 1921 will er sich in Bad Griesbach erholen. Auf einem Spaziergang ermorden ihn zwei Rechtsterroristen mit insgesamt acht Schüssen. Kurt Tucholsky aber sollte recht behalten mit seinem Nachruf: „Es kondoliert, wer grad noch hetzte … / Du warst der Erste nicht – bist nicht der Letzte.“

Veranstaltungen zum Erzberger-Jahr 2021

Das Haus der Geschichte Baden-Württemberg bietet unter dem Titel „Kampf und Tod für die Demokratie“ noch bis Ende des Jahres ein umfangreiches Programm zum Gedenken an Matthias Erzberger. Alle Informationen dazu finden Sie hier.