Statt Plastikmüll zu vermeiden, erfand man mit Recycling und Müllverbrennung gewissenberuhigende Scheinlösungen und verursachte sogar noch mehr Plastikmüll (Foto: H. Hach, Pixabay)

Dieser Bericht erschien erstmals in der Mai-Ausgabe 2020 von Trott-war.

Die Trott-war-Recherche: Wir Schmutzfinken!

Trotz Recycling und Verbrennung wird Plastikmüll zum globalen Umweltproblem

Die Deutschen halten sich für Recycling-Weltmeister. Doch in Wahrheit sind sie allenfalls Weltmeister im Müllsortieren und verursachen Abfallmengen auf Rekordniveau. Besonders problematisch: Es handelt sich dabei vermehrt um Plastik. Gesetze sollen gegenlenken.

Von Nico Nissen

Plastikmüll stellt sicher eine besonders auffällige und lästige Umweltverschmutzung dar, wenn auch nicht die gefährlichste. Plastik schwimmt oder flattert, ist bunt oder durchsichtig, verdirbt Urlaub und Naturerlebnis – und ist unglaublich zäh. Was ihn zur beliebten Verpackung macht, wird zum Jahrhunderte dauernden Müllproblem. Gelangt er in die Umwelt, wird er nach bisherigem Forschungsstand nie vollständig zersetzt werden. Stattdessen zerfällt er in immer kleinere Teile, die die Menschheit als Mikroplastik bis in die ferne Zukunft begleiten werden, mit bisher unklaren gesundheitlichen Folgen.

Seit der Markteinführung des ersten Kunststoffes im Jahr 1910 häufte er sich überall an, zunächst auf den bis vor wenigen Jahrzehnten noch üblichen Müllkippen, später auf Mülldeponien, die sich zuletzt zu Bergen auftürmten. Laut einer US-amerikanischen Studie sind bis 2015 weltweit 8,3 Milliarden Tonnen Kunststoff produziert und 6,3 Milliarden davon entsorgt worden. Immer wurde ein großer Teil auch verbrannt, doch es entstehen bei der Verbrennung Gifte wie die schwer abbaubaren Dioxine. Sie reichern sich in der Umwelt und somit auch in der menschlichen Nahrung an und schädigen Zellen und Organe durch das Atemgift Kohlenmonoxid, das krebserregende Benzol und das klimaschädliche Kohlendioxid.

Verwertungsquote ≠ Recyclingquote

Dennoch wurde laut einer Statistik des Umweltbundesamtes 2017 eine halbe Million Tonnen mehr Plastikmüll verbrannt als im ersten erfassten Jahr 2010. Dem Statistischen Bundesamt zufolge stammten im Dezember 2019 rund neun Prozent des Brennstoffes für Elektrizität- und Wärmeerzeugung aus Hausmüll und Siedlungsabfällen, die vermehrt Plastik enthalten. Sie stehen hinter  den fossilen Energieträgern Braun- und Steinkohle sowie Erdgas auf Platz vier. Klimaneutrale Brennstoffe wie Biogas spielen im relativen Vergleich fast keine Rolle. Nur mithilfe dieser „energetischen“ Verwertung des Plastikmülls kommt die Bundesrepublik 2017 auf eine Verwertungsquote von fast 100 Prozent. Der Anteil, der recycelt, also zu neuen Plastikprodukten verarbeitet wird, macht mit 48 Prozent aber noch nicht mal die Hälfte dieser Verwertung aus. Doch oft wird im allgemeinen Sprachgebrauch „Verwertung“ mit „Recycling“ gleichgesetzt, was ein völlig falsches Bild erzeugt.

Tatsächlich war der letzte Berichtszeitraum 2017 ein Müll-Rekordjahr. Das Umweltbundesamt kommt auf 18,7 Millionen Tonnen allein an Verpackungsmüll. Auch Plastik zählt dazu. Das sind üppige drei Prozent mehr als im Vorjahr. Die Recyclingquote nahm deshalb seit Jahren das erste Mal wieder ab. Mit 226,5 Kilo je Einwohner stellten die Deutschen damit einen neuen Rekord auf und stehen auch im EU-Vergleich an der Spitze. Seit dem Jahr 1995 hat sich der Verbrauch mehr als verdoppelt.

Das Umweltbundesamt nennt für diese Plastikschwemme etliche Ursachen. Umschrieben lautet die Begründung: Supermärkte, Discounter, Schnellrestaurants und der boomende Online-Versandhandel nutzen alle mehr Plastik als die mittlerweile verstorbene Tante Emma. Im selben Zeitraum wuchs die Zahl der Singles um vier Millionen. Sie lassen sich viele Kleinportionen einpacken, essen häufiger auswärts und trinken häufiger einen Coffee-to-go – im Plastikbecher, denn der lässt sich ja recyceln. Die scheinbare Gewissheit, dass der eigene Müll recycelt werde, lässt ein schlechtes Gewissen gar nicht erst aufkommen.

Ende für „Jute statt Plastik“

Vor bald 30 Jahren wurde in Deutschland das Duale System eingeführt, zunächst noch mit einem Grünen Punkt und gelben Tonnen und Tüten. Verpackungsmüll sollte bundesweit wiederverwertet statt weiter auf Müllbergen angehäuft werden. Überzeugt, Gutes zu tun, sortieren die Deutschen und ihre zugewanderten Nachbarn seither emsig und mehr oder weniger erfolgreich ihren Müll. Dass „Wiederverwertung“ auch das Verbrennen in einer Müllverbrennungsanlage bedeuten kann, ist den meisten von ihnen wohl kaum bewusst. Zudem zeigt sich, dass sie vor lauter Müllsortierung kaum mehr an Müllvermeidung dachten. Die Menge an Kunststoffverpackungen nahm laut dem Umweltbundesamt von 2000 bis 2017 um 79 Prozent zu, der Mehrweganteil bei Getränkeverpackungen dagegen von 48 Prozent auf 42 Prozent ab. Statt „Jute statt Plastik“ – so ein Slogan der Umweltbewegung der 80er Jahre –, wurde alles zu Plastik, auch das bewährte Glas. Sogar Bier wird mittlerweile in Plastikflaschen angeboten, was Marktstrategen lange Zeit als unmöglich galt.

Jahrelang geschönt wurde die Statistik offenbar durch Exporte von Müll nach China, der in Deutschland als recycelt deklariert, dort aber teilweise verbrannt wurde. Doch das Reich der Mitte hat selbst ein riesiges Umweltproblem: Der weltgrößte Hersteller von Plastikprodukten hatte kein funktionierendes Entsorgungssystem für Plastikabfälle, importierte aber ständig welche. Das Land erstickte allmählich in Plastik und wurde damit auch zum weltweiten Ärgernis – Studien zeigen, dass große Mengen des Plastikmülls im Pazifik aus China stammen. 2018 stoppte es den Import von Plastikmüll, baut seither ein eigenes Wiederverwertungssystem auf und verbot Anfang dieses Jahres zudem eine ganze Liste von Einwegprodukten aus Plastik.

Das stellte westliche Industrieländer vor Probleme. Sie versuchten, ihren aufgestauten Plastikmüll an andere ostasiatische Länder loszuwerden, wie Thailand und Vietnam. Die Philippinen, Indonesien, Kambodscha und Malaysia wehrten sich und schickten ganze Schiffsladungen zurück. Dennoch berichtete Frontal 21 von etlichen wilden Müllkippen in Malaysia, auf denen der Plastikmüll deutsche Aufschriften trägt. Auch Nachbarländer Deutschlands haben unter der Plastikflut zu leiden: Polen kann sich vor deutschem Müll kaum mehr retten, und immer wieder gehen dort Deponien zwielichtiger Geschäftsleute unerklärlich in Flammen auf.

Der Handelsweg lässt sich oft nur schwer nachvollziehen. Das Müllhandelsunternehmen „Der Grüne Punkt – Duales System Deutschland“, mit dem Trott-war bei der „Spende-Dein-Pfand“-Initiative kooperiert, erklärte auf Anfrage, dass es in den letzten Jahren kaum mehr Altkunststoffe exportiert habe und der Export außerhalb der EU mittlerweile vollkommen zum Erliegen gekommen sein dürfte. Zudem sei die ordnungsgemäße Verwertung durch Zertifikate sichergestellt. Der Marktführer ist seit seinem Bestehen in keinen Müllskandal verstrickt gewesen.

Neue Gesetze

Die aufgezeigte Fehlentwicklung dürfte eigentlich nicht sein. Laut der Zielhierarchie des Kreislaufwirtschaftsgesetzes haben Müllvermeidung und Wiederverwendung oberste Priorität und Recycling Vorrang vor Verbrennung. Doch diese Regelung ließ sich bislang leicht umgehen. Eine für dieses Jahr geplante Novelle soll dies ändern. Zuvor wurden bereits klare Ziele formuliert: Die bis 2018 gültige Verpackungsverordnung sah für Kunststoffe eine Recyclingquote von 22,5 Prozent vor, die viel zu leicht zu erreichen war. Das seit 2019 geltende Verpackungsgesetz verpflichtet die Entsorger, eine Recyclingquote von 65 Prozent und ab 2022 sogar 70 Prozent zu gewährleisten. Ab 2021 sind zudem EU-weit etliche Einwegprodukte aus Plastik verboten, etwa Trinkhalme, Teller und Besteck. Und im Mai vergangenen Jahres sorgten 180 Staaten im Basler Abkommen für Klarheit: Es erschwert den Export von Plastikmüll und legt eine Verringerung der Plastikproduktion fest.


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