Ich bin erschöpft, als ich vor dem Regal mit dem Sekt stehe. Egal, heute ist mein Tag. Dieser Tag gehört nur mir. Naja, 6,75 € für Sekt vom Discounter, nie im Leben. Das bringe ich nicht übers Herz. Stattdessen entscheide ich mich für chilenischen Weißwein. Der wird’s auch tun, das versuche ich mir zumindest einzureden. Dabei hasse ich Wein! Aber 2,19 € sind doch ein Totschlagargument. Dieser Tag hätte so viel mehr verdient.

Als ich zur Kasse gehe, fühle ich mich mit dieser Entscheidung äußerst unwohl, ich entscheide mich daher, zu einer dieser neuartigen Selbstbedienungskassen zu gehen. Doch als hätte ich es eigentlich besser wissen müssen, piepst das Gerät: „Ausweiskontrolle“. Nun sieht mich nicht nur der Kassierer mitleidig an, auch etwa 20 Kunden, die am Band darauf warten, bezahlen zu können. Vor Scham laufe ich rot an und nachdem ich bezahlt habe, fliehe ich so schnell es geht aus dem Laden.

Nach einer etwa 10-minütigen Flucht komme ich zum Stehen. Indisch, mein Lieblingsessen. Das habe ich mir heute wirklich verdient. Ich ringe mit meinem Gewissen. Aber DOCH, das habe ich mir verdient! Also bestelle ich das Günstigste (wie immer), lasse es einpacken und gehe los. Zuhause angekommen, genieße ich das Essen, es war so gut, dass meine Endorphine noch stärker wurden, obwohl ich davon ausging, das wäre gar nicht möglich.

Schon seltsam, jetzt, wo ich darüber nachdenke; dieses Hoch kenne ich sonst nur von meiner Essstörung, die sich darüber freut, dass wir es „geschafft“ haben, nicht zu essen.

Mein Handy klingelt. „Hallo“, sage ich. Die andere Seite: „Jobcenter U25, hier in meinen Unterlagen steht, dass Sie heute Ihr Abitur bestanden haben, Glückwunsch! Deshalb bitten wir Sie, sich noch diese Woche um einen Job zu kümmern.“

Meine Laune war schlagartig bei null. Mir war es doch fast zwei Stunden lang gelungen, zu vergessen, dass ich in einem kleinen Einzimmerappartement mitten im Rotlichtviertel hause und mir meine Küche mit 24 Wildfremden teilen muss. Ich bin sehr dankbar für die Chancengleichheit!

Von Marie