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Auch Männer werden geschlagen

Gewalt an Männern ist noch immer ein Tabuthema. Während das Männerhilfetelefon 2020 rund 1.500 Kontaktaufnahmen hatte, waren es 2021 schon mehr als 3.000. Die Verdoppelung zeigt, wie wichtig der kleine Bruder des Hilfetelefons für Frauen ist, den es erst seit zweieinhalb Jahren gibt. Auch die Stuttgarter Sozialberatung ist Teil des Projekts.

Von Anne Brockmann

Alexander ist einer, dem Frauen hinterherschauen. Und einer, der was zu sagen hat. Er ist der Assistent des Geschäftsführers in einem größeren Logistikunternehmen. Oft arbeitet er mehr 50 Stunden in der Woche. Und geht vor oder nach dem Büro noch ins Fitnessstudio. Verheiratet ist er auch. Mit Lisa-Marie.

Alexander ist einer, bei dem niemand auf die Idee kommen würde, dass er häusliche Gewalt erfährt. Genauso ist es aber. Lisa-Marie kontrolliert ihn. Filzt sein Handy, durchwühlt seine Sachen, horcht gemeinsame Freunde aus, checkt den Verlauf des Navis im Auto und versteckt den Türschlüssel, wenn sie ihn nicht aus der Wohnung lassen möchte. Sie wird sogar gewalttätig. Wirft mit Sportschuhen nach ihm, zertrampelt seine Modellbau-Flugzeuge und schlägt blindlings um sich – das alles begleitet von wüsten Beschimpfungen.

Arbeitssucht als Kompensationsversuch

Alexander und Lisa-Marie gibt es nicht. Sie sind ein Beispiel für die Konflikte, mit denen Björn Süfke tagtäglich zu tun hat. Der Psychologe und Psychotherapeut arbeitet in der Bielefelder Männerberatungsstelle man-o-mann und weiß: „Männer, die zu Hause Gewalt erleben, überperformen oft im Außen und versuchen so, ihr Leid zu kompensieren.“ Zusammen mit seiner Beratungsstelle ist er Teil eines multiprofessionellen Teams, das seit dem 22. April 2020 an der Strippe von Deutschlands erstem Männerhilfetelefon sitzt. „Das Männerhilfetelefon ist im Grunde genommen nichts anderes als der kleine Bruder des Hilfetelefons für Frauen, das es schon lange gibt“, erklärt Süfke.

Ins Leben gerufen wurde das Angebot vom Bayerischen Staatsministerium für Familie, Arbeit und Soziales und vom Ministerium für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung des Landes Nordrhein-Westfalen. Seit dem 1. April 2021 beteiligt sich auch das Land Baden-Württemberg mit einer finanziellen Förderung daran. Neben der Beratungsstelle man-o-mann, die von nordrhein-westfälischer Seite am Projekt beteiligt ist, engagieren sich für Bayern die Beratungs- und Clearingstelle der AWO Augsburg und für Baden-Württemberg die Sozialberatung Stuttgart. Das Männerhilfetelefon versteht sich als Angebot für jeden, der in irgendeiner Form eine Verletzung seiner körperlichen oder seelischen Grenzen erlebt und erlitten hat oder noch immer in so einer Situation gefangen ist. „Den Gewaltbegriff fassen wir sehr weit auf. Für uns ist das Leid entscheidend, das der Einzelne hat, und die Unterstützung, die nötig ist. Alles, was einen weiterhin umtreibt oder nicht zur Ruhe kommen lässt, kann Anlass für einen Kontakt zu uns sein“, führt Süfke aus.

Auch Frauen gehen ans Männerhilfetelefon

Die Gründung vor etwas mehr als zweieinhalb Jahren sei mit den verantwortlichen Politikerinnen und Politikern Hand in Hand gegangen, berichtet Süfke. „Das war ein guter Prozess, in dem Praxisstellen intensiv gefragt und gehört wurden“, sagt der Männertherapeut. Als wichtigstes Kriterium für das neue Angebot haben die Experten einhellig die Niedrigschwelligkeit genannt. „Die Hürde, sich Hilfe zu holen, ist bei Männern per se viel, viel höher als bei Frauen.

Das darf das Angebot mit seiner Struktur nicht verstärken. Deshalb galt: keine Wege, keine Kosten, kein Risiko“, erläutert Süfke. Das Männertelefon ist zwar in erster Linie eine Hotline, bietet aber auch kostenlose und anonyme Beratung via E-Mail und Live-Chat an. Im Vergleich zu seinem Pendant für Frauen ist es aber noch deutlich spärlicher ausgestattet. „Wir können kaum Beratung für fremdsprachige Männer anbieten, sind meistens auf einer, maximal auf zwei Leitungen erreichbar und am Wochenende gar nicht da. Das ist alles noch ausbaufähig, aber dass es uns überhaupt gibt, ist ein erster Schritt, mit dem ich so schnell ganz ehrlich nicht gerechnet hätte“, fasst Süfke zusammen.

Als Berater sind beim Männerhilfetelefon auch Frauen tätig, denn Männer erfahren weit häufiger Gewalt durch andere Männer als in der Partnerschaft mit einer Frau. „Bei uns melden sich Homosexuelle, die von Homophoben mit dem Tod bedroht werden, Männer, die als Kind von den Mitschülern gemobbt, vom Vater geprügelt oder vom Trainer missbraucht wurden und auch Männer, die von den älteren Männern ihrer Großfamilie zu einer Zwangsheirat gedrängt werden“, beschreibt Süfke das Spektrum der Hilfesuchenden und ergänzt, dass eine Frau am anderen Ende der Leitung „da manchmal geeigneter ist“.

Überproportional viele Anrufer wenden sich aber mit Erlebnissen von häuslicher Gewalt in der Partnerschaft an Süfke und seine Kolleginnen und Kollegen. Etwa 60 Prozent der Klienten berichten davon. „Ich glaube, hier zahlt sich unsere Niedrigschwelligkeit aus. Den meisten Männern fällt es schwerer zuzugeben, dass sie derjenige waren, der am Boden lag, als derjenige, der zugeschlagen hat. Wehrlos zu sein, ist für die meisten unmännlich“, erzählt Süfke. Für männliche Opfer von Gewalt, erst recht, wenn sie ihnen von Frauen angetan wurde, kommt neben dem eigentlichen körperlichen und seelischen Schmerz immer noch ein Identitätskonflikt mit der eigenen Geschlechterrolle hinzu.

Von der Hälfte des Menschseins abgeschnitten

Gerade bei den Männern, die Gewalt in der Partnerschaft mit einer Frau erleben, geht es zunächst mal darum, ihnen Glauben zu schenken. „Manche haben sich wegen schlimmen Misshandlungen an die Polizei gewandt – und wurden ausgelacht“, erzählt Süfke. Ansonsten besteht seine Aufgabe hauptsächlich darin, sich auszukennen und gut vernetzt zu sein. „Wir sind eine erste Anlaufstelle, der es hoffentlich gelingt, Vertrauen ins Hilfesystem zu schaffen. Je nach Problemlage verweist Süfke die Männer dann weiter – zum Beispiel an Selbsthilfegruppen, Suchtberatungsstellen oder Psychotherapeuten. Langfristig sieht Süfke aber nur eine Lösung in gesamtgesellschaftlichem Umdenken. „Auch wenn es da in Bildungskonzepten für Kindergarten- und Schulkinder schon gute Ansätze gibt, müssen wir viel mehr dahinkommen, dass als Lebensentwurf alles für jeden möglich ist. Jemanden auf seine traditionelle Geschlechterrolle zu reduzieren, schneidet ihn von der Hälfte seines Menschseins ab und verwehrt ihm unzählige Möglichkeiten. Das ist ungesund und macht krank“, untermauert Süfke seinen Appell.

Das Männerhilfetelefon erreichen Sie unter 0800 1239900 oder per Mail an beratung@maennerhilfetelefon.de.
Betroffene können sich auf der Website unter www.maennerhilfetelefon.de auch anonym in einem Live-Chat online beraten lassen.