Sexualisierte Gewalt ist allgegenwärtig. Redakteur Daniel begleitete deshalb Maya & Carina von „catcallsofstuttgart“ bei einer ihrer Aktionen: Das Ankreiden von Übergriffen auf der Straße. Hier kommt der zweite Teil unseres Interviews …

 

[Kürzlich erlebten die Aktiven während des Ankreidens selbst einen schweren Übergriff. Wir wünschen ihnen eine rasche Erholung und viel Energie für weitere Aktionen!]

 

Daniel: Was erlebt Ihr auf der Straße?

Maya: Es kommt drauf an. Wir waren auch in Stadtteilen, wo das Kreiden die Leute nicht so interessiert; sie nehmen es wahr – ohne aktiv den Dialog zu suchen. Aber hier auf der Königsstraße gibt es Tage, an welchen wir für unsere Aktionen sehr lange brauchen, weil uns viele Menschen ansprechen. Was die Leute wollen, ist manchmal schwer einzuschätzen. Man merkt am Anfang, schon so gewisse Stereotype im Kopf zu haben. Etwa gegenüber Älteren: „Die kritisieren uns bestimmt!“ Aber dann gibt es Omas und Opas, die gleich sagen: „Sehr gut, was Ihr macht, das muss man unterstützen!“ Und dann gibt es wieder junge Leute, die sich eigentlich solidarisieren könnten, die unsere Arbeit aber ignorieren.

Carina: Manchmal kommen doofe Kommentare – so im Vorbeigehen. Aber es ist selten, dass sich jemand beschwert. Wenn Menschen erstmal kritisch sind, hat das für uns allerdings auch etwas Gutes; wir wollen ja ins Gespräch kommen und Meinungen ändern! Gegen unangenehme Begegnungen haben wir die Regel: Wir gehen nie alleine Ankreiden. Und sobald es dunkel wird, gehen wir auch wieder.

Daniel: Ihr richtet Euch gegen das Patriarchat?

Carina: Wir kämpfen gegen die Ungleichbehandlung verschiedener Geschlechter und sehen das Patriarchat als Vorherrschaft von bestimmten Personengruppen, meistens Cis-Männer, die weiß sind.

Daniel: Was fühlt Ihr während Eurer Arbeit?

Maya: Auf der Straße zu arbeiten, gibt mir ein total empowerndes Gefühl und viel Freude – weil ich hier das Gefühl habe, Probleme wirklich anzugehen. Ich stehe hier aktiv für Werte ein und mache auch etwas für die vielen Menschen da draußen, die vielleicht nicht den Mut dazu haben. Ich bin auch etwas stolz auf mich; gerade in der Erinnerung an frühere Situationen und Erlebnisse, von welchen ich mich nicht getraut habe, anderen zu erzählen. Und jetzt knie ich mitten auf der Königsstraße und kreide solche Sachen an. Was ich denke: Mein jüngeres Ich wäre fasziniert und stolz.

Carina: Es tut immer gut, sich für Werte einzusetzen. Dadurch tanke ich Kraft.

Maya: Bei dem Thema bekommt man auch in seinem eigenen Umfeld viel Kontra. Hier bei Catcallsofstg bauen wir einander auf, unterstützen uns – das ist schon erleichternd.

Daniel: Welche Geschichten sind besonders schlimm?

Maya: Wir geben uns Mühe, unsere Nachrichten nicht zu bewerten. Wir behandeln alle gleich und sagen nicht etwa: „Wir kreiden Deine Nachricht nicht an, weil die nicht krass genug ist – oder wir kreiden Deine nicht an, weil die zu krass ist.“ Wir behandeln alle gleich, weil eine Erfahrung für die erlebende Person immer schlimm ist. Trotzdem treffen einen bestimmte Nachrichten stärker. Sehr krass finde ich natürlich Gewalt an Kindern: „Ich war neun, jemand zieht mich in eine Seitengasse und fasst mich an.“

Carina: Natürlich gehen einem auch Geschichten nahe, von denen man selbst betroffen ist. Nur weil wir diese Arbeit machen, sind wir ja nicht frei von negativen Erfahrungen.

Maya: Schlimm ist auch, wenn Menschen nach ihren Erlebnissen Ängste ausstehen müssen. Man spürt dann ihre Panik und wie es sich angefühlt haben muss, in dieser bedrohlichen Situation zu sein – wie es sich anfühlte, einen Übergriff zu erleben und auch niemanden zur Seite gehabt zu haben, der einen unterstützt, weil alle weitergehen und nichts machen …