Immer mehr Frauen in sozialer Notlage

Die Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe (BAG W) veröffentlicht jährlich eine Statistik zur Wohnungslosigkeit in Deutschland. Dieses Jahr liegt der Schwerpunkt auf „Familien in Wohnungsnotfallsituationen“.

Die Zahlen zeigen, dass der Frauenanteil der Hilfesuchenden zugenommen hat und die Betroffenen immer jünger sind. Die vormals größte Gruppe der 40- bis 49-Jährigen wurde nun von der Gruppe der 30- bis 39-Jährigen abgelöst. Zudem sind die Frauen im Hilfesystem durchschnittlich jünger.

Auffallend ist laut der BAG W, dass besonders die Familienwohnungslosigkeit zugenommen hat. Fast die Hälfte der hilfesuchenden Haushalte mit minderjährigen Kindern werden von einer alleinerziehenden Frau geführt. Zudem hat sich der Anteil der Hilfesuchenden ohne deutsche Staatsbürgerschaft zwischen 2010 und 2018 mehr als verdoppelt und liegt mittlerweile bei 30 Prozent.

Auch die sozialen Einrichtungen im Kreis Stuttgart schlagen Alarm. Der begrenzte Wohnungsmarkt in der Landeshauptstadt erschwert es Opfern von häuslicher Gewalt häufig, ihrer misslichen Lage zu entkommen, da sie keine bezahlbare Wohnung finden können. Der Schritt ins Frauenhaus oder Sozialhotel sei für viele mit einer wesentlich höheren Hemmschwelle verbunden, oft entfalle durch den Umzug das soziale Umfeld. Häufig würden die Frauen sogar aus solchen Hilfeeinrichtungen wieder zu ihrem Partner zurückkehren, da sich die Wohnungssuche als schwierig erweise. Alleinerziehende oder Frauen ohne eigenes Einkommen haben auf dem umkämpften Stuttgarter Wohnungsmarkt wenig Aussichten auf Erfolg.

Die Hilfesysteme seien überlastet, warnt Sabine Reichle von der Caritas in einem Artikel der Stuttgarter Nachrichten. Ein Platz im Frauenhaus sei im Falle einer Notsituation nicht garantiert. Laut einer Schätzung des Sozialministeriums fehle es landesweit an 633 Betten, Tendenz steigend.

Mangel an bezahlbarem Wohnraum als Hauptursache

Trotz offensichtlich steigendem Bedarf und langen Wartelisten ist die Zahl an Sozialwohnungen auch im Raum Stuttgart rapide gesunken. Die Stadt gibt an, dass es im Jahr 1992 rund 22.000 Sozialwohnungen zur Verfügung gestanden hätten, der DMB-Mieterverein Stuttgart spricht von 27.000 zum damaligen Zeitpunkt. Ende 2019 waren es noch 14.400, trotz stetig steigenden Einwohnerzahlen. In einem Artikel der Stuttgarter Nachrichten nahm der Mietervereinsvorsitzende Rolf Gaßmann die Stadt Stuttgart in die Pflicht: Es gäbe nicht nur einen Mangel an Sozialwohnungen, im Vergleich zu anderen Städten würde man auch zu wenig Initiative zeigen, um dem entgegenzuwirken.

Seit Ausbruch der Corona-Pandemie wird außerdem deutlich, dass besonders Menschen in prekären Lebenssituationen von den Auswirkungen betroffen sind. Die Schulen waren geschlossen und können vermutlich noch lange nicht zum Alltag zurückkehren. Jugendzentren und andere Freizeitangebote sind ebenfalls von den Einschränkungen betroffen. Besonders in sozial schwachen Familien fehlen häufig die Möglichkeiten, um dieses Wegbrechen zu kompensieren.

Auch Wohnungslose in Deutschland trifft die Pandemie besonders hart. Sie leben im öffentlichen Raum und haben kaum Möglichkeiten, sich in den Sammelunterkünften an die Kontaktbeschränkungen und Hygienemaßnahmen zu halten. Außerdem gehören sie häufig zur Risikogruppe. Zudem steht die kalte Jahreszeit vor der Tür. Provisorien wie die Essensvergabe im Freien können nicht mehr realisiert werden. Es fehlt an Räumlichkeiten und dauerhaften Unterbringungsmöglichkeiten.  Die BAG W forderte Anfang April in einem Zehn-Punkte-Sofort-Programm die vorrangige Unterstützung der Hilfesuchenden und der sozialen Hilfeeinrichtungen.


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