Dr. Frank Jansen zeigt auf die „kleine Stadt“ der Justizvollzugsanstalt Heimsheim
(Foto: JVA Heimsheim)
Quarantäne im Gefängnis? Eine Justizvollzugsanstalt in der Pandemie
In Gefängnissen (im Behördendeutsch Justizvollzugsanstalten oder kurz JVA) leben viele Menschen auf kleinem Raum. Sie sollen ihre Insassen von der übrigen Gesellschaft isolieren, aber den gegenseitigen Austausch nicht völlig unterbinden. Bernd Gebauer von Trott-war sprach mit Dr. Frank Jansen, dem Leiter der JVA Heimsheim, über die besonderen Herausforderungen, die die Corona-Pandemie mit sich brachte.
Wie viele Gefangene sitzen derzeit bei Ihnen in der JVA Heimsheim ein und wie viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind bei Ihnen beschäftigt?
Die JVA Heimsheim bietet Platz für 467 männliche Insassen, wobei wir auch bis zu 67 sogenannte „Durchgangshaftgefangene“ für jeweils einige Tage beherbergen. Das sind Gefangene, die von einer JVA zu einer anderen transportiert werden, sie aber nicht am gleichen Tag erreichen können.
Von der Ersatzfreiheitsstrafe bis hin zur lebenslangen Freiheitsstrafe werden bei uns alle freiheitsentziehenden Maßnahmen vollzogen. Unsere Außenstelle in Ludwigsburg, eine Einrichtung des offenen Vollzugs, kann bis zu 78 Gefangene aufnehmen. Unser Haupthaus ist derzeit nahezu voll belegt.
Zudem sind bei uns etwa 290 Bedienstete beschäftigt. Hierzu gehören Juristen, Rechtspfleger, Sozialarbeiter, Psychologen, Lehrkräfte, Pfarrer, Handwerksmeister und Techniker, Busfahrer, Verwaltungsmitarbeiter, Ärzte, Krankenpfleger und natürlich über 140 Bedienstete im uniformierten Dienst. Die JVA ist wie eine „kleine Stadt“.
Seit März 2020 hat uns die Pandemie im Griff. Wie sind die Corona-Maßnahmen in einer JVA umgesetzt worden?
Bei uns wurden alle Vorgaben der Corona-Verordnung der Landesregierung sowie sämtliche Erlasse des Ministeriums der Justiz und für Europa ebenso beachtet wie die aktuelle pandemische Gesamtsituation nebst tagesaktueller Berichterstattung sowie den Hinweisen des RKI. Besonders herausfordernd ist und war, dass es sich bei einer JVA, wie gesagt, um eine eigene „kleine Stadt“ handelt. Für alle Bereiche mussten Corona-konforme Lösungen gefunden und die Vorgaben umgesetzt werden. Selbstverständlich haben wir für Neuzugänge, die die JVA Heimsheim von außerhalb erreicht haben, eine eigene Zugangsabteilung ins Leben gerufen. Zudem haben wir eine eigenständige Quarantäneabteilung implementiert.
Welche Freizeiten der Gefangenen wurden gekürzt beziehungsweise gestrichen und wie verkraften die Gefangenen diese Maßnahmen?
Uns ist gelungen, die sehr wichtige „Freizeit“ der Gefangenen, die sie innerhalb ihrer Abteilung außerhalb ihres Haftraumes verbringen können, während der Pandemie nur für wenige Wochen ein wenig kürzen beziehungsweise zeitlich verschieben zu müssen. Dies war zuletzt zwischen Mitte Dezember 2020 und Ende Februar 2021 der Fall. In der übrigen Zeit ist es uns nahezu immer gelungen, die auch vor der Pandemie üblichen Freizeitblöcke aufrechtzuhalten.
Unsere Insassen haben die jeweils erforderlichen Einschränkungen nahezu durchgehend akzeptiert und hieran mitgewirkt. Ihnen war auch bewusst, wie wichtig diese Maßnahmen sind, da wir diese immer jeweils erklärt und rechtzeitig bekannt gemacht haben. Wir haben unsere Insassen zudem ergänzend informiert, wie sich die Situation außerhalb der Anstaltsmauern darstellt und mit welchen Einschränkungen die Bevölkerung außerhalb der JVA leben muss.
Laut unserer Information dürfen auch keine ehrenamtlichen Mitarbeiter mehr in die JVAen kommen. Das heißt aber im Umkehrschluss, dass die ganzen Gruppen, die die ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter leiten, dann entfallen und die Gefangenen keine Möglichkeit haben, zum Beispiel zum Sport oder in eine der angebotenen Freizeitgruppen zu gehen.
Das ist meines Erachtens nicht zwingend und entspricht nicht den hier vor Ort gelebten Abläufen. Selbstverständlich mussten wir alle Corona-bedingten Abstands- und Hygieneregelungen und die erforderlichen Vorgaben beachten. Allerdings hat unser Sport- und Freizeitdienst frühzeitig ein Corona-konformes Alternativprogramm ins Leben gerufen. Die Leitung des Freizeitdienstes hat beispielsweise einige Gruppen, die bislang dankenswerterweise von Ehrenamtlichen geleitet wurden, übernommen und weiter fortgeführt. Ferner haben sich Bedienstete gemeldet, um eigene ergänzende Gruppenangebote für Gefangene anzubieten. Den kirchlichen Dienst sowie die Behandlungsabteilungen haben ihre Angebote nahezu in vollem Umfang aufrechthalten können.
Natürlich können diese Maßnahmen nicht unsere wichtigen ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ersetzen, die sich in der Vergangenheit immer für unsere Insassen eingesetzt haben. Aber sie konnten zumindest einige Einschränkungen abmildern. Zudem haben und hatten unsere Insassen durchgehend die Möglichkeit, sich sportlich zu betätigen, auch außerhalb der gesetzlich vorgeschriebenen Hofgänge.
Auch die so wichtigen Besuche von Angehörigen wurden eingeschränkt oder sogar gestrichen. Wie wurde das von Ihnen geregelt?
Die für alle Beteiligten wichtigen Besuchsmöglichkeiten mussten leider auf das gesetzliche Mindestmaß reduziert werden. Ausgesetzt wurden die Besuche nur für kurze Zeiträume, als es die pandemische Lage erforderlich machte und eine landesweit einheitliche Vorgehensweise umzusetzen war. Im Übrigen haben wir unsere Besuchsabteilung komplett neugestaltet. Wir haben weitere gesonderte Trennscheiben-Besuchsräume mit einer Abtrennung zwischen den Bereichen für Gefangene und Besucher gebaut und unseren großen Besuchsraum so umgestaltet, dass die erforderlichen Mindestabstände gewahrt werden. Allerdings darf nicht vergessen werden, dass jeder Außenkontakt, dem Zutritt gewährt wird, das Risiko einer Verbreitung des Virus in der JVA erhöht. Denn die Besucher haben zwangsläufig Kontakt zu den Bediensteten der Außenwache sowie der Besuchsabteilung. Aber auch die Bediensteten wurden aufgefordert, die Kontakte untereinander auf das zwingend notwendige Maß zu reduzieren, und die Justizvollzugsanstalt war gehalten, die Personalanwesenheit vor Ort, soweit dies überhaupt umsetzbar ist, möglichst zu reduzieren.
Wir lesen von anderen Justizvollzugsanstalten in anderen Bundesländern, dass es Videotelefonie mit Angehörigen gibt, um so die Kontakte wenigstens ein Stück aufrechtzuerhalten. Wie ist das bei Ihnen in der Anstalt geregelt worden, beziehungsweise wie ist es heute, ein Jahr später?
Das Ministerium der Justiz und für Europa hat frühzeitig Tablets für alle Justizvollzugsanstalten des Landes Baden-Württemberg angeschafft, um den Insassen zu ermöglichen, ihre Angehörigen online zu kontaktieren. Die JVA Heimsheim bietet dies bereits seit Monaten an und setzt sie auch weiterhin ergänzend zu den wieder stattfindenden normalen Besuchsmöglichkeiten ein. Als besonders wichtig haben wir hier unter anderem das sogenannte „Eltern-Kind-Projekt“ angesehen, sodass Gefangene, die Kinder haben und deren Familien durch das Projekt betreut und begleitet werden, zumindest hierüber Kontakt zu ihren Familien halten können.
„Draußen“ hangelten wir uns von Lockdown zu Lockdown, aber durften immer mal wieder gewisse Freiheiten genießen. Wurden auch „Lockerungen“ innerhalb der Anstalt angeboten oder fahren Sie Ihren Kurs seit letzten März strikt weiter?
Selbstverständlich haben wir auch die pandemische Lage außerhalb der JVA berücksichtigt und uns dieser angepasst. Allerdings ist es uns gelungen, unseren Insassen nahezu durchgehend die überaus wichtige Arbeitsmöglichkeit anzubieten, wenn auch teilweise nur stundenweise. Einschränkungen gab es selbsterklärend bei den Außenkontakten sowie im Personalbereich, die jedoch notwendig waren. Vor diesem Hintergrund war der Kurs seit März 2020 über viele Monate hinweg sehr konstant. Im Übrigen darf man nicht vergessen, dass es Bereiche gab, in denen unsere Insassen durchgehend „normal“ beschäftigt waren, wie etwa in der Küche oder der Wäscherei.
Wie sieht es aus mit den sogenannten Vollzugslockerungen, die manche Gefangene genießen? Wurden die auch ausgesetzt oder konnten sie vollzogen werden?
Sie wurden auf das jeweils zwingend notwendige Maß reduziert.
Gab es auch in Ihrer Anstalt sogenannte Corona-Entlassungen, also Gefangene, die zum Beispiel eine Geldstrafe absitzen mussten, sofort entlassen wurden und dann ohne weitere Hilfe vor dem Gefängnistor standen und nicht weiter wussten, oder war die JVA Heimsheim davon nicht betroffen?
Sofern Entlassungen erforderlich waren, wurden diese, wie in der Vergangenheit, immer möglichst sozialverträglich durchgeführt. Unsere Fachdienste haben sich etwa im Rahmen der Entlassvorbereitung um unsere Insassen gekümmert, ihre Fragen beantwortet und Hilfe angeboten. Im Übrigen hat sich über eine durchgeführte Entlassung bei uns noch niemand beschwert. Die Insassen, die entlassen werden, sind üblicherweise froh, nicht mehr inhaftiert zu sein. Zudem darf nicht vergessen werden, dass eine Reduzierung der Belegungszahl das Risiko zur Weiterverbreitung bei einer Infizierung zwangsläufig reduziert. Je weniger Menschen vor Ort sind, desto weniger können sich anstecken. Ferner entstehen so notwendige Freiräume für etwaige erforderliche Quarantänemaßnahmen. Allerdings kann eine JVA über ihre Belegung grundsätzlich ebenso wenig eigenständig entscheiden wie über erforderliche Vollstreckungsmaßnahmen. Dafür sind andere Stellen zuständig.
Wie ist die Arbeitssituation der Gefangenen?
Unsere Insassen tragen in allen Bereichen und Situationen, in denen es erforderlich ist, medizinische Masken, die sie von uns gestellt bekommen. Eine Ausnahme gibt es beispielsweise für ihre eigenen Hafträume. Die Werkbetriebe der JVA Heimsheim waren über Monate hinweg normal geöffnet.
Haben auch Sie in der Anstalt Umsatzeinbrüche in Ihren Werkbetrieben aufgrund der Corona-Krise?
Umsatzeinbrüche konnten nicht verzeichnet werden; gerade im letzten Jahr 2020 haben unsere Werkbetriebe mehr externe Aufträge als in den vergangenen Jahren erhalten, so dass sich die Beschäftigungsmöglichkeiten für unsere Insassen sogar noch verbessert haben. Seit Anfang März arbeiten unsere Insassen in den Werkbetrieben ohnehin wieder im normalen Umfang.
Haben Sie schon Informationen darüber, wann Gefangene geimpft werden, und wie schätzen Sie die Impfbereitschaft unter den Gefangenen ein?
Das Ministerium der Justiz und für Europa hat sich sehr frühzeitig darum gekümmert, dass auch unsere Insassen grundsätzlich unter Beachtung der jeweils allgemeingültigen Prioritäten und Vorgaben geimpft werden können. Diesbezüglich wurden von unserem Krankenrevier bereits vor einiger Zeit die ersten organisatorischen Maßnahmen in die Wege geleitet.
Gab es auch innerhalb der Gefängnismauern „Corona-Querdenker“ oder ist das ausgeblieben? Wenn ja, wie sind Sie mit diesen Gefangenen ins Gespräch gekommen, oder welche Maßnahmen gab es?
Wir haben in vielen Bereichen eine überaus große Unterstützung durch unsere Insassen und eine große Dankbarkeit für unsere Bemühungen gespürt, sie bestmöglich zu schützen. Sie haben verstanden, wie wichtig es ist, Vorkehrungen zu treffen, damit das Virus möglichst nicht in die Anstalt gelangt. Hieran haben schlussendlich alle mitgewirkt. Hierfür danke ich sehr!
Natürlich findet sich auch bei unseren Insassen der sogenannte Querschnitt der Bevölkerung mit den unterschiedlichsten Ansichten wieder. Allerdings mussten wir in diesem Bereich kaum intervenieren, da die Gefangenen sich auch untereinander darüber aufgeklärt haben, wie wichtig es beispielsweise ist, Masken zu tragen. Hartnäckige „Querdenker“ sind mir aktuell keine bekannt. Die Akzeptanz für die erforderlichen Maßnahmen und die Masken ist überaus groß.
Wir danken für das Gespräch!
Ich danke Trott-war sehr für das gezeigte Interesse am Justizvollzug sowie den wichtigen Belangen der hier einsitzenden Menschen.
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