Sexarbeit: „Mich stellt keine Behörde mehr ein!“
Sie fordern mehr Respekt für Menschen in der Sexarbeit: für mehr Selbstbestimmung, um Missstände auch eigenständig lösen zu können – Daria und Nicole vom „Berufsverband erotische und sexuelle Dienstleistungen“ (BesD e. V.). Dabei wenden sie sich gegen ausbeuterische Tagesmieten, die schon alleine mehrere Blowjobs täglich kosten, und gegen die sogenannte „Hurarchie“ …
Von Daniel Knaus
Um was geht es Euch?
Daria: #Redetmitunsstattüberuns war der Hashtag vom Welthurentag. Es braucht runde Tische – und es ist nur gesunder Menschenverstand, dass die Beteiligten einer Arbeit auch an der Diskussion über sie teilhaben dürfen. Wir sind keine Opfer, wir sind mündige Menschen. Die Gesellschaft muss verstehen, dass Sexworker:innen auch freiwillig ihrer Arbeit nachgehen.
Nicole: Und wenn Sexarbeit verboten werden würde, verschwindet sie nicht, sie wandert nur weiter ins Dunkle ab. Die Anbahnung findet weiter statt, nur gefährlicher. Für Betroffene müsste eine sehr gute Alternative her, wenn sie schon etwas anderes tun sollen.
Ihr sprecht auch über Preise und Preisdruck.
Daria: Natürlich muss man über Mieten reden – wann sind sie angemessen? – und wann fängt die Ausbeutung an? 80 Euro Tagesmiete in einem Laufhaus sind vielleicht in Ordnung; hier in Stuttgart nehmen sie unter anderem in einigen Bordellen aber schon 150 Euro. Wenn Du gute Preise und einen hohen Stundensatz hast, kannst Du das stemmen. Wenn ich als Domina in der Stunde so viel verdiene und zwei Gäste habe, komme ich mit einem guten Plus nach Hause. Aber andernorts muss ich für meine 150 Euro einige Blowjobs machen.
Nicole: Das ist schwierig – und darüber müssen wir reden. Dazu kommen wir aber gar nicht, weil wir erstmal gegen das Verbot kämpfen müssen. Eine schlimme Situation: Wir würden gerne über konkrete Verbesserungen reden, müssen aber erst das Verbot vom Tisch haben.
Daria: Der Großteil der Politik hier in Baden-Württemberg ist für ein Verbot. Aktuell wird das Prostituiertenschutzgesetz evaluiert. Die Gegner werden jede Lücke nutzen, um zu sagen: Das Gesetz funktioniert nicht. Die sind super organisiert und haben viel Geld. Sexworker:innen wiederum sind eher wie ein Haufen exzentrischer Künstler:innen. Die bekommst Du schlecht zusammen, dass sie mit einer Stimme reden. Und die wollen ihr Gesicht meist auch nicht in der Presse. Bei diesem stigmatisierten Beruf sagt keine so schnell: Ich arbeite in der Sexarbeit.
Was wären die negativen Folgen eines Verbotes?
Nicole: Ich könnte nicht mehr mit meinem Wohnmobil durch die Gegend fahren. Mein Arbeitsplatz wäre weg. Keine Sicherheit mehr, weil auch bei einem Sexkauf-Verbot wie im Nordischen Modell die Prostitution stattfindet; und zwar im Dunkelfeld. Die Abhängigkeit vom Vermieter und anderen Beteiligten nimmt dann zu, ebenfalls die Gewalt. Und Du wirst vereinzelt – keine Bordelle mehr mit Notknopf, Security und Kontakt zu anderen Frauen.
Daria: Aufsuchende Arbeit geht dann auch nicht mehr. Es weiß ja niemand mehr, wo wir sind. Auch die Angst vor Behörden und Polizei würde steigen – weil Du heimlich arbeiten musst und immer dem Radar entgehen. Weil die Polizei Freier erwischen will, hat sie dann auch immer Dich im Blick. Das ist absurd. Es heißt immer, Frauen würden nicht bestraft werden: Aber es ist genau so. Die guten Kunden kommen dann nicht mehr wegen der Angst vor Kriminalisierung; und dafür kommen eher welche mit kriminellen Neigungen. Du hast dann also viel mehr zu tun mit Leuten, die ausbeuten.
Nicole: Es braucht kein Verbot, damit nicht mehr in der Prostitution arbeiten muss, wer nicht in ihr arbeiten will. Dafür braucht es Gelder und vernünftige Alternativen. Die Energien, die man in ein Verbot stecken würde, müsste man in die Verbesserung der herrschenden Zustände stecken.
Daria: Die Gelder, die jetzt in Zwangsberatungen fließen und in den Hurenausweis – wenn die Behörden dieses Geld in aufsuchende Arbeit und Aufklärung von Sozialarbeiter:innen investieren würden, hätten wir bald kein Problem mehr. Wenn Du Dir aber einmal im Jahr anhören musst, wie Du ein Kondom benutzt, obwohl Du schon lange in der Sexarbeit tätig bist, dann ist das demütigend.
Was ist mit Alternativen zur Sexarbeit?
Nicole: Was soll ich noch machen, welche Möglichkeiten habe ich noch? Welchen normalen Beruf soll ich noch machen? Ich habe mein Gesicht gezeigt in der Prostitution. Mich nimmt kein Mensch mehr. Ich teste das ab und zu mit Bewerbungen. Aber ich kriege immer Absagen.
Daria: Ich bin vom Ursprung her Heilerzieherin, kann wegen des Stigmas aber nie wieder dahin zurück. Und Behörden würden mich auch keine mehr einstellen, weil ich als Prostituierte eingetragen bin. Es würde nicht weitergegeben werden von Deiner Meldestelle, heißt es immer; aber das Gesundheitsamt, das Ordnungsamt, die Polizei und das Finanzamt wissen Bescheid.
Wie können wir besonders den ausgebeuteten Sexworker:innen helfen?
Nicole: Beratung muss niedrigschwellig sein; auch ohne sich vorher mit dem Telefon anzumelden und einen Termin zu haben. Es braucht aufsuchende Sozialarbeit. Ausgebeutete müssen wissen: Da ist jemand, da gibt es Aufklärung. Aber dafür fehlen Gelder, die unsere Politik einfach nicht bereitstellt!
Daria: Die Stadt Stuttgart ist nicht daran interessiert, den Prostituierten zu helfen. Sie hält die Prostitution in der Illegalität. Wer solidarisch mit Sexworker:inen sein will, kann aber unsere Botschaft weitertragen.
Welche Probleme haben migrantische Sexworker:innen?
Daria: Sie haben Probleme mit dem Aufenthalt, der Krankenversicherung, mit Räumen und Schlafmöglichkeiten; es fehlt ihnen an Informationen! Sie brauchen mehr Kontakte, viel mehr gute Anlaufstellen und Übersetzungsmöglichkeiten – und sowieso mehr ergebnisoffene Sozialarbeit.
Was ist Euch noch wichtig?
Daria: Mir ist daran gelegen, dass die Gesellschaft von der Schiene kommt: Gute Prostitution, schlechte Prostitution. Warum soll es unbedingt besser sein, als Sexualassistenz für jemanden zu arbeiten, der gehandicapt ist? Es ist eine Errungenschaft, dass sexuelle Assistenz für behinderte Menschen heute möglich ist. Vor dreißig Jahren hat sich darüber noch niemand Gedanken gemacht. Trotzdem ist sexuelle Dienstleistung sexuelle Dienstleistung. Die Debatte nennen wir „Hurarchie“. Und das nutzen die Gegner:innen auch. Die sagen: Du darfst nicht mitreden, Du bist eine privilegierte Hure. Das ist falsch – ich bin einfach eine Sexworker:in. Legalität, Aufklärung, Peerarbeit und Zusammenschlüsse von Kolleg:innen bedeuten mehr Möglichkeiten und Empowerment für alle.
Nicole: Für alle Bereiche bessere Bedingungen!
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