Morwenn Heimerdinger und Felix Seeger vor der Beratungsstelle in der Brunnenstraße (Foto: Sonja Löw)

Solidarisches Pflaster

Die Anlaufstelle der Bruderhaus Diakonie für obdach- und wohnungslose Menschen in der Brunnenstraße in Tübingen konnte auch während der Corona-Pandemie zu den normalen Öffnungszeiten besucht werden. Sie ist außerdem die Außenstelle von Trott-war, wo die Verkäufer ihre Zeitungen abholen.

Von Sonja Löw

An zwei Vormittagen in der Woche, montags und donnerstags, kommen Menschen hierher in die Brunnenstraße, um Hilfe und Beratung zu erhalten. Auf die Frage, ob es zur Debatte stand, dass die Beratungsstelle während der Krise schließen müsste, zeigt Streetworker Felix Seeger auf den Tisch, der zwischen Büro und Aufenthaltsraum steht. So kann der Abstand eingehalten werden und die Beratungsstelle konnte geöffnet bleiben. „Wir haben den Menschen vermittelt, dass sie nur noch mit konkreten Anliegen kommen können“, so Seeger. „Sich hier treffen, Kaffee trinken, ein Schwätzchen halten, ist nicht mehr möglich. Für einige war es schwierig, das zu akzeptieren und sich daran zu gewöhnen.“

Genug Notunterkünfte

In Tübingen sei die Zahl der obdachlosen Menschen im Vergleich zu Großstädten wie Berlin oder Hamburg eher gering, und es gebe ausreichend Notunterkünfte, so Seeger. Der überall zu lesende gute Rat „Bleiben Sie zu Hause“ ist für obdachlose Menschen nicht zu befolgen. Doch selbst wenn Räume geschaffen werden, ist Seeger eher skeptisch, ob sich die Menschen dann auch wirklich an Abstands- und Quarantäneregeln halten. „Das Leben der obdachlosen Menschen findet auf der Straße statt, selbst wenn Raum für Rückzug geschaffen wird.“

Wohnungslosenhilfe vor Ort

Raum für Rückzug bietet der Dornahof in Tübingen, der die Ambulante Wohnungslosenhilfe Hilfe vor Ort leistet. Die Arbeit der Fachberatungsstelle dort, so Abteilungsleiterin Christa Schöffend, wurde größtenteils auf Telefonberatung umgestellt und die Abstandsregeln eingeführt. „Da die vorläufige Schließung der Tagesstätten und Kleiderkammer eine besondere Härte für unsere Klientel darstellten, haben wir innerhalb einer Woche die Ausgabe von Lunchpaketen und Bekleidung gestartet“, erklärt Schöffend. Seit 4. Mai seien die Tagesstätten zur Essensausgabe sowie alle anderen Angebote wieder zugänglich, unter Berücksichtigung der Hygieneschutzmaßnahmen. Die Belegung für die städtischen Notunterkünfte wurde in Absprache mit dem Ordnungsamt auf eine Person pro Zimmer reduziert.

Solidarität mit Randgruppen

Entgegen der Befürchtungen, obdach- und wohnungslose Menschen litten besonders unter der Krise, gab es in Tübingen eine Welle der Solidarität. Seeger erzählt, ein Tübinger Trott-war Verkäufer habe sogar mehr verkauft als gewöhnlich, sodass Seeger und seine Kollegin Morwenn Heimerdinger Zeitungen nachbestellen mussten. Sie hatten, aus der Befürchtung heraus, der Verkauf könnte unter der Krise leiden, weniger Zeitungen bestellt.

Außerdem bemüht sich die „Initiative Grundversorgung“ darum, bedürftige Menschen weiterhin mit Lebensmitteln zu versorgen. Eine wichtige Initiative vor allem in der Zeit, als die Tafelläden schließen mussten. Seeger berichtet auch von einem Gabenzaun an der Steinlachbrücke hinter dem Hauptbahnhof, der zur Hochzeit der Krise gut bestückt und frequentiert war. Dort konnten Menschen für bedürftige Mitmenschen Lebensmittel und Artikel für den täglichen Bedarf an die Brücke hängen.

„Manchmal“, meint Seeger, „tritt eben auch eher das Gegenteil von dem ein, was man zuvor befürchtet hatte.“