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Tierische Feindtruppen

Invasive Arten

Vergangenen Mai sorgte eine nächtliche Mahlzeit bei Vogelfreunden für Entsetzen und Trauer: Über eine Webcam sollten sie eigentlich das Heranwachsen junger Uhus in der Eifel beobachten können. Stattdessen mussten sie mitansehen, wie ein Waschbär nacheinander die beiden Küken der Uhudame Lotte tötete und fraß.
Da zeigte sich die Natur von ihrer grausamen, aber eben auch natürlichen Seite – könnte man meinen. Doch Waschbären gehören zu den vielen nach Europa eingeschleppten Arten, die die ursprüngliche Tier- und Pflanzenwelt vor neue Herausforderungen stellen oder sogar bedrohen. Wie Truppen einer fremden Macht, die das Land besetzen und verheeren, nennt man sie „invasiv“.

Von Nico Nissen

Es werden nur die eingeschleppten oder eingeführten Tier- (Neozoen) und Pflanzenarten (Neophyten) als „invasiv“ bezeichnet, die sich in irgendeiner Weise schädlich auswirken. Denn nicht alle aus einer anderen Region der Erde stammenden Arten verursachen Schäden und viele davon haben sich in die heimischen Lebensräume eingefügt. In diesen Fällen wird landläufig nur von „eingebürgerten“ Arten gesprochen – als wären sie im Gegensatz zu den invasiven Arten Mitbürger, nicht Feinde. Bei den invasiven Arten ist die Bedrohungslage eine andere. Sie schädigen Ökosysteme und können sogar zum Aussterben einheimischer Arten beitragen. „Der weltweit zu beobachtende Artenrückgang hat drei komplexe Ursachen: globale Lebensraumzerstörung, globaler Klimawandel, invasive Arten. Die Reihenfolge dieser drei Ursachenkomplexe ist dann sekundär“, erklärt der Ökologe Wolfgang Nentwig, der die Auswirkungen eingeschleppter Arten seit Jahren beobachtet und erforscht.

Auch Menschen gefährdet

Als Beispiele nennt er die „blödsinnige“ Einfuhr eines in China beheimateten Marienkäfers, der, wie von seinen Importeuren erhofft, Blattläuse vertilgt, aber auch dazu beiträgt, dass einige seiner
hiesigen Verwandten aussterben, sowie das nordamerikanische schwarze Eichhörnchen, das ein Pockenvirus an das hier ursprünglich verbreitete Rothörnchen überträgt, aber selbst immun und auch körperlich robuster ist. Das Aussterben könne sich über Jahrzehnte hinziehen, sei aber bereits im Gange – in England gebe es kaum mehr
Rothörnchen. Und auch die Pflanzenwelt bleibe nicht verschont. So werde das allgegenwärtige Ulmensterben durch eine aus Asien eingeschleppte Pilzart verursacht und schlimmstenfalls zum Aussterben einiger heimischer Ulmenarten wie der Bergulme führen.

Aber auch Menschen sind in Gefahr. So könnten sich mit der Ausbreitung von Tiger- und Anopheles-Mücken Krankheiten in Europa verbreiten, die bislang nur Tropenstaaten heimsuchten, wie Malaria oder Dengue-Fieber. Unter den für Menschen gefährlichen Pflanzen ist besonders der Riesen- oder Kaukasus-Bärenklau bekannt, dessen Gift zu schmerzhaften Verletzungen von Haut und Augen führt und bleibende Schäden hinterlässt.

Schwierige Bekämpfung

Doch wie kann man die invasiven Arten zurückdrängen? Laut Nentwig ist das sehr aufwändig und somit teuer, aber dennoch oft erfolglos. Besser sei es, präventiv zu wirken und die Verbreitung invasiver Arten im Vorhinein zu verhindern: Auf riskante und mitunter oft unnötige Importe verzichten, desinfizieren, bestrahlen, zur Quarantäne einlagern seien bewährte Maßnahmen. Die Frage, ob auch Jagd oder Fischerei einen Beitrag leisten könnten, beantwortet er mit „Jein“. Jäger und Fischer würden sich meist widerwillig zeigen, eine eingeführte oder eingeschleppte Art auszurotten, wenn sie schöne Trophäen verspricht oder wirtschaftliche Bedeutung erlangt, und die Jagd anderer Invasoren, wie Marderhunden und Waschbären, sei wegen deren Lebensweise schwierig. Für die Krebszucht und Fischerei haben die amerikanischen Krebsarten mittlerweile sogar eine größere Bedeutung als alteingesessene wie der Edelkrebs. Die haben darunter zu leiden, dass ihre Konkurrenten aus Übersee die Krebspest übertragen, selbst aber immun sind.

Die gängige Unterscheidung zwischen den „gefährlichen“ invasiven Arten auf der einen und den „eingebürgerten“ und daher harmlosen Arten auf der anderen Seite hält Nentwig zudem für trügerisch, „denn es gibt viele Beispiele, dass nichteinheimische Arten erst nach vielen Generationen invasiv wurden, die Spätblühende Traubenkirsche in Norddeutschland erst nach rund
200 Jahren“. Der Begriff „Einbürgerung“ verrät ihm zufolge mehr das menschliche Wunschdenken als fundierte wissenschaftliche Erkenntnis. „Im Grunde genommen ist das eine anthropozentrische Wortwahl, die nicht auf Pflanzen und Tiere angewendet werden kann. Wenn ich von biogeografischen Regionen ausgehe, gibt es für diese Arten kein Bürgerrecht, keinen Reisepass, keine Aufenthaltserlaubnis und natürlich auch keine Einbürgerung.“

EU verordnet Maßnahmen

Nachdem das Problem jahrzehntelang ignoriert wurde, versucht die EU, die Mitgliedsstaaten zum Eingreifen zu bewegen. Eine 2015 in Kraft getretene Verordnung listet nach mehreren Aktualisierungen mittlerweile 66 als besonders bedrohlich geltende Arten auf, deren Ausbreitung es zu verhindern gilt, vorrangig mit präventiven Maßnahmen, wenn
notwendig aber auch der Beseitigung der gesamten Population. Die Liste dürfte im Laufe der Zeit länger werden: In verschiedenen Forschungsprojekten kamen Nentwig und andere Wissenschaftler auf mehr als 14.000 Arten, die in Europa ursprünglich nicht heimisch waren – und der Anteil der invasiven darunter wird auf 15 Prozent geschätzt.