Was bringt Menschen auf Bäume

Ein Waldbesetzer über seine Motive

Der Hambacher Forst wurde zum Symbol des Streits zwischen Umweltschützenden und ökonomischen Interessen. Aktivisten besetzten den Wald seit 2012, um seine Rodung durch RWE zu verhindern und gegen den Braunkohleabbau zu protestieren. 2018 wurden ihre Baumhäuser durch einen großen Polizeieinsatz geräumt, welchen aber 2021 das Verwaltungsgericht Köln für rechtswidrig erklärte. Durch das Kohleausstiegsgesetz von 2020 soll nun der Restwald erhalten werden. Daniel Knaus sprach mit einem ehemaligen Besetzer über seine Erfahrungen. Der junge Mann blieb wohnungslos und will weiterhin in alternativen Gemeinschaften leben.

Wie denken Sie heute an Ihre Zeit im Hambacher Forst zurück?

Mit Sehnsucht, aber auch Stress, weil eine Waldbesetzung nicht nur friedliches Picknicken im Grünen heißt, sondern vor allem Streit mit den Behörden – und weil die Klimakatastrophe in vollem Gange ist. Das Artensterben macht mich traurig. Mein Gefühl der Sehnsucht überwiegt aber: nach mehr Natur und Freiheit. Dass ich mich im Wald unabhängiger von der Gesellschaft fühlen konnte, bedeutet übrigens auch, dass ich nicht einfach für die Mitstreitenden sprechen kann. Wir waren nie eine Organisation, sondern mehr ein offener Kreis von Menschen, die etwas gegen die Naturzerstörung tun wollten.

Waldbesetzungen wurden auch schon als Utopien beschrieben, in welchen sich Menschen frei entfalten können. Wie haben Sie das Zusammenleben erfahren?

Menschen sind nie einfach. Natürlich gibt es immer auch Reibereien. Das ist aber kein Problem, wenn sich alle einig sind, Konflikte zusammen lösen zu wollen. Leider klappt das weltweit noch nicht – in kleineren Gruppen aber oft. So konnten wir unter harten Bedingungen ziemlich zufrieden leben. Ohne den Komfort einer beheizten Wohnung, aber mit diesem guten Gefühl, das Richtige zu tun. Es klingt kitschig, trotzdem sage ich es: Mit menschlicher Wärme ist auch das Frieren besser auszuhalten. Und geteilte Lebensmittel schmecken besser. Das einmal zu erleben, halte ich für wertvoll. Meine Botschaft an die Gesellschaft: Auch eine Kompost-Toilette zu benutzen, ist nur Gewöhnung. Gleiches gilt für ein Erdloch als Kühlschrank. Glücklich macht nicht der Luxus, sondern mit Sinn unter Menschen zu leben, die man mag.

„Wir waren verschieden und wollten das auch bleiben“

Was für Menschen haben Sie im Wald kennengelernt?

Wir haben uns auch Waldnamen gegeben und teils nicht viel über unser Leben vorher erzählt. Deshalb ist eine Besetzung spannend – alle können sich neu erfinden und ausprobieren. Natürlich haben ökologisch angetriebene Menschen aber auch Gemeinsamkeiten: Viele ernähren sich pflanzlich und denken tierrechtlich, viele unterstützen auch feministische und queere Anliegen, alle kritisieren den Kapitalismus. Ich denke, dass die meisten Leute im Hambi sensibel waren. Deshalb haben sie sich für den Wald eingesetzt und deshalb hat das Leben dort geklappt. Auf einen Punkt kann ich die Hambi-Menschen aber nicht bringen, eben weil wir das auch nicht wollten: Wir waren verschieden und wollten das auch bleiben. Manche lebten schon länger draußen und ohne Dokumente, andere waren nur zeitweise hier, wenn sie etwas Geld erarbeitet hatten – und wieder andere waren unregelmäßig da, etwa neben einem Job oder dem Studium. Einige waren begeisterte Aktivisten, manche waren im normalen Leben depressiv und wollten hier Sinn finden. Im Netzwerk der Unterstützenden war die ganze Gesellschaft vertreten, von Anwohnenden – auch aus der Landwirtschaft – bis zu den Anwälten und Ärzten.

Es gab gegen die Räumung auch Widerstand durch Gewalt.

Von Gewalt wollte ich nichts wissen, beispielsweise von Böllern oder Fallen. Selbst den Barrikadenbau fand ich bedrohlich. Aktivisten haben unterschiedliche Charaktere; ich bin Pazifist. Auch Steinwürfe gehen nicht. Wenn man mal auf der Straße lebt, merkt man, wie schlimm Gewalt ist. Obdachlose werden getreten und bespuckt, das sollte niemand erleben. Meiner Meinung nach dürfen wir den Konzernen und den Menschen, die an der Naturzerstörung verdienen, keine Argumente geben, uns „Ökoterroristen“ zu nennen. Wozu gibt es Sitzblockaden, mit welchen wir auch Erfolg hatten? Durch den friedlichen Protest haben wir Sympathie auf uns gelenkt. Und den gibt es für den Hambi auch schon seit den 70er Jahren durch unterschiedliche Menschen, vom örtlichen Pfarrer bis zu Greenpeace! Es geht im Widerstand gegen die Naturzerstörung um Zusammenarbeit.

„Die wollen nicht für unseren Wohlstand geopfert werden“

Was ist mit den wirtschaftlichen Interessen?

Die Kohlekumpels, die keinen Job mehr haben, tun mir leid. Der ökologische Wandel muss so funktionieren, dass er auch sozial ist. Allerdings denke ich, dass der Kapitalismus nicht für alle arbeitet – auch ein Kumpel wird nicht reich; die Gewinne ziehen andere aus der Naturzerstörung. Und in Zeiten des Klimawandels müssen wir alles global sehen: Konsum hier kann Menschen im Süden töten, wenn Emissionen Dürren bewirken. Das geht auch den Kumpel an. Solidarität muss durch die Klimakatastrophe global gedacht werden. Wie genau die Lösung für unsere Probleme aussieht, kann ich nicht sagen; ich weiß nur, dass sie sozial ist – nicht nur für uns Menschen. Im Wald merkt man schnell, dass wir nicht allein auf der Erde sind. Dort leben neben den Pflanzen auch Eichhörnchen, Wildschweine und Käuze, die alle Bedürfnisse haben. Die wollen nicht für unseren Wohlstand geopfert werden.

Was wünschen Sie sich für Ihre Zukunft?

Ich werde nie vergessen, wie so ein Schaufelradbagger in seiner Grube aussieht. Wirklich bedrohlich, besonders wenn Du aus dem Wald heraus in die industrielle Öde trittst. Da habe ich etwas begriffen: Als Mensch bin ich für das Lebendige, nicht für kaltes Metall. Deshalb will ich mein Leben in der Natur verbringen – wenn das in der heutigen Zeit möglich ist. Und deshalb will ich mich auch weiterhin gegen die Naturzerstörung einsetzen.

Herzlichen Dank für das Gespräch!