Auch wenn die körperlichen Bedürfnisse erfüllt sind, kann etwas fehlen: das Gefühl der Zugehörigkeit. Nach sieben Jahren on/off obdachlos, verlor ich durch einen Unfall fast ein Bein und bekam endlich ein Zimmer, das ich abschließen konnte, dazu regelmäßiges Essen – doch gut ging es mir trotzdem nicht.
Von Agapezz, Trott-war-Schreibwerkstatt
Um mich herum war nichts: keine funktionale Familie, keine Freunde, keine Angebote zur Selbsthilfe, niemand, der mich an die Hand genommen hätte: einen 19-jährigen deformierten Straßenköter, dessen Wunden die Gesellschaft gar nicht sehen will. Ich war allein mit meinem Leib, vollgepumpt mit Trauma und Verzweiflung, und musste erstmal neu laufen lernen. Mein Rehabilitationsaufenthalt wurde abgelehnt, weil es sich lediglich um eine Fleischverletzung handelt und keine Knochenfraktur. Dass es als suchtkranker Mensch schwierig ist, mit chronischen Schmerzen einen gesunden Umgang zu lernen, schien der Krankenkasse „Jacke wie Hose“. Ich wurde mit fünf Terminen Physio abgespeist und Tilidin wurde ein neuer „Freund“ in meiner toxischen Clique von Realitätsunterdrückern.
Wenn ein Mensch keine sozialen Kontakte mehr hat, weil die Person der Norm nicht entspricht, wird sein Wille, weiterzumachen, gebrochen. Ein Mensch lebt dann nicht mehr, sondern überlebt. Und nun war ich kaum mehr in dieser Realität verankert. Meine Geschichte war zu lange zu absurd und schmerzhaft. Obwohl ich nun ein warmes Zimmer hatte, war ich weiterhin im Überlebensmodus. Der Austausch mit den Sozialarbeiterinnen war distanziert, die scheinbar selbst vom Leben überlastet waren. Ich verlor mich in noch heftigeren polytoxischen Konsum und wusste nicht, wie ich mir weiterhelfen kann. Dass ich suchtkrank bin, habe ich damals noch gar nicht verstanden, egal wie schlimm meine Eskapaden waren.
Einsamkeit verstärkt Sucht – bis zur Überdosis
Doch ganz allein war ich nicht; da waren Menschen in meinem Leben, mit denen zusammen ich mich (selbst-)zerstörte, „Suchtmenschen“, die auch nicht gelernt haben, anders mit extremen Situationen umzugehen. Verstoßene, die teilweise ebenfalls an einem Generationstrauma litten – und die jetzt schauen mussten, wie sie in einer egozentrierten Welt weiterkommen. Die Gesellschaft erlebte ich auf der Straße oft nach dem Motto: „An bestimmten Feiertagen darf ein bisschen geteilt werden, aber danach nicht mehr.“ Ich war dennoch dankbar dafür, überhaupt eine Art zwischenmenschlichen Kontakt zu haben. Kontakt zu anderen Menschen ist ein Grundbedürfnis. Und durch die neue Behinderung war ich erst recht auf die Hilfe von Menschen um mich herum angewiesen.
Dann hatte ich eine Überdosis und drogeninduzierte Flashbacks. Mein Unterbewusstsein drang zu mir durch und wir wurden uns der Realität unseres Lebens wieder bewusst. Ich konnte endlich greifen, dass ich suchtkrank bin und warum. Ich habe ganz normal auf anormale Situationen reagiert. Dass ich an nichts von dem, was mir passiert ist, schuld war, dass ich aber mit allem allein umgehen muss – für mich und für meine Zukunft. Egal wie unfair und beschissen es sein mag. An der Erkenntnis, dass ich suchtkrank bin, konnte ich mich sogar festhalten: dass ich mir Hilfe holen kann und lernen, mit den Schmerzen umzugehen, die mir zugefügt wurden. Neue Verknüpfungen im Gehirn können noch immer entstehen, wenn ich diesen Weg der Abstinenz gehe. So reduzierte ich meinen Drogencocktail; besser konnte ich mir nicht helfen. Wenn du seit deinem zwölften Lebensjahr konsumierst und nur diese Art von „Umgang“ mit Emotionen kennst, ist es verdammt schwer, allein die Abstinenz zu erreichen.
Endlich leben lernen dürfen
Dann hieß es erstmal warten, bis all die Anträge durch waren für die Entgiftung. Ich musste ganze acht Monate warten, bis meine Suchtreha endlich durchgewinkt wurde! Acht Monate ausharren. Seit einem Jahr und weiteren acht Monaten lerne ich nun aber, meine Vergangenheit emotional zu verarbeiten. Meine Lebenssituation hat sich stabilisiert. Dank der Abstinenz und positiven sozialen Interaktionen konnte ich meinem Nervensystem und der Amygdala (ein Hirngebiet, in dem Bedrohungen analysiert werden) immer wieder „ins Bewusstsein rufen“, dass wir nicht mehr akut in Gefahr sind und endlich leben lernen dürfen.
Ich darf jetzt die Erziehung meines inneren Kindes übernehmen, ihm Liebe, Wertschätzung und ein sicheres Zuhause schenken. Aber auch Grenzen setzen und Kompromisse eingehen, damit mein Erwachsenen-Anteil vorne ist und dieses Leben meistert. Und meine Charakterzüge, für die ich mich sonst schäme, muss ich nicht einfach wegsperren. Sei es das Bedürfnis, in der Öffentlichkeit zu weinen oder sich Tag für Tag wie ein Clown zu bemalen. Echter Austausch und Dialog fehlen mir aber oft noch: Zugehörigkeit. Dabei brauchen wir das alle. „The child who is not embraced by the village will burn it down to feel its warmth.“ Das ist ein afrikanisches Sprichwort und bedeutet übersetzt: „Das Kind, das vom Dorf nicht umarmt oder angenommen wird, wird es abbrennen, um die Wärme zu spüren.“
Gemeinsame Hilfe zur Selbsthilfe: Unterstützt einander, passt aufeinander auf!
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