„Komm! Wir schlendern auf dem Rückweg über den Christkindlmarkt. Ich habe noch einen Fünfziger einstecken“, schlägt Johannes mir vor. Meine Begeisterung hält sich in Grenzen. „Muss das sein? Da ist es immer so voll“, wende ich ein, Missfallen in die Stimme legend. „Wer wird denn an Weihnachten schlechte Laune verbreiten? Das ist das Fest der Liebe und vor allem der Fröhlichkeit.“ Im Grunde genommen hat er ja recht. Man muss den Stress auch mal ausblenden. Einfach guter Dinge die besinnliche Atmosphäre genießen. „In Ordnung. Gehen wir“, gebe ich nach …
Von Wolfgang Breitkopf
„Du wirst sehen, dass dir ein paar Glühweine guttun. Da spürt man Weihnachten erst richtig. Man muss sich auf das Gefühl von Ruhe und Frieden einlassen. Was gibt es Schöneres, als sich treiben zu lassen, während man von lächelnden, heiteren Menschen umgeben ist“, bekräftigt Johannes seinen Vorschlag.
In der Ferne erkennen wir schon bunt leuchtende Girlanden an Buden und Straßenlaternen. Eine magische, glitzernde Märchenlandschaft liegt vor uns.
Wir erreichen die ersten Reihen. Der liebliche Duft von gebrannten Mandeln, gefolgt von verführerisch heißen Maronen, deftigen Bratwürsten und nicht zuletzt von zu altem Pommesfett, weht über den Platz. Leise rieselt der Schnee.
Pausbäckige Kinder versuchen, Schneeflocken mit weit aufgerissenen Mündern aufzufangen. Einen kandierten Apfel in der Hand. Von der Vorfreude auf die kommende Geschenkorgie beseelt.
Der Christkindlmarkt erstrahlt in voller Pracht. Lichter blitzen allenthalben. Irgendwo dudelt „Stille Nacht“. In einer Ecke kauert auf seinem Rollator ein Obdachloser in der Eiseskälte, mit einem aus dem Müll geretteten Döner. Ebenfalls mit einem beseelten Gesichtsausdruck, der allerdings niemanden interessiert.
Ich schaue weg. Mit düsterer Miene tut es mir Johannes gleich. Ob aus Scham oder weil der Mann den beschaulichen Gesamteindruck stört, vermag ich nicht zu beurteilen. „Der wirkt äußerst glücklich. Liegt wohl an den kommenden Feiertagen“, kann ich mir eine Spitze nicht verkneifen.
„Ja, der ist so was wie ein Störfall im System für den ‚ach so idyllischen‘ Weihnachtsmarkt.“
„So viel zu heiteren Menschen und gelebter Nächstenliebe zum Fest.“
Johannes ignoriert den Kommentar und zieht mich in Richtung der nächstgelegenen Glühweinbude.
Der sich dem Abend zuneigende Nachmittag geht mit klirrendem Frost einher. Das hindert freilich die Massen weihnachtswütiger keineswegs, sich durch die vollgestopften Gänge des Christkindlmarktes zu zwängen. Asiatisch aussehende Touristen, bemüht die Besinnlichkeit mit dem Selfie-Stick einzufangen, hemmen den steten Strom. Genervte Blicke der Passanten töten sie, während die Fotografierenden rückwärtsgehend über ihre eigenen Beine stolpern.
Um endlich ein Heißgetränk zu erhalten, stellen wir uns hinter einigen gut gelaunten Zechern an.
„Mir geht es nicht gut. Könnte ich bitte mal nach vorne. Ich brauche nur eine Flasche Wasser“, dringt an meine Ohren.
Der Mann, den wir vorher bei seinem türkischen Festtagsschmaus gesehen haben, schiebt plastiktütenbehangen seinen Rollator in Richtung Theke und gerät umgehend in einen Disput mit einem älteren Herrn, der eine rote Nikolausmütze trägt. Die Worte „Peace“ und „Happy Xmas“ sind auf ihr eingestickt.
„Wer`s glaubt wird selig. Der will nur Stoff“, urteilt dieser treffsicher.
„Idiot! Mach Platz!“, wagt jemand zu sagen.
Ungeachtet dessen, ist der ältere Herr mitnichten gewillt, seinen Platz in der Schlange aufzugeben. Demonstrativ blockiert er den Weg nach vorne.
Die Illusionen bezüglich des Geistes der Weihnacht schwinden abrupt. Die Realität des lieblosen Kommerzes trübt mein Bild eines gemütlichen Weihnachtsmarktes nebst froh gestimmter Besucher. Hier schert sich niemand um seinen Mitmenschen. Der Geruch von billigem Fusel, der uns umhüllt, schnürt mir plötzlich die Kehle zu. Übelkeit steigt auf. Ich herrsche den Weihnachtsnarren an, er solle den Mann vorbeilassen. Er räumt murrend das Feld. Ich packe Johannes am Arm und ziehe ihn weg. Widerstandslos folgt er mir.
„Weihnachten, das Fest der Liebe? Ein großer Irrtum. Hinter der Fassade kommt das wahre Gesicht zutage“, fällt mein Kommentar aus.
Nickend erwidert Johannes frustriert: „Genau. Fröhliche Weihnachten allerorten. Das Christkind würde bei dem Anblick kotzen!“
Ernüchtert entfernen wir uns. Johannes steckt den Fünfziger wortlos in die Sammelbox der Obdachlosenhilfe. Deren am Rande des Spektakels gelegener Stand, von den Vorübergehenden gänzlich unbeachtet, ein einsames Dasein fristet.
Schweigsam treten wir den Heimweg an.
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