Freund oder Feind? Zur Zukunft des Leonhardsviertels, Teil III
Von Martina Klein
Freund oder Feind – Bewohner im Leonhardsviertel sitzen zwischen den Stühlen
Unterdessen hat die Weigerung des Bezirksbeirat Mitte, den Beschlussantrag zur Bebauungsplanänderung durchzuwinken, eine härtere Gangart in den Umgang miteinander gebracht. Kienzle wirbt persönlich im Viertel für die Bebauungsplanänderung. „Bei diesem Thema ist nicht mit ihr zu reden“, bestätigt die langjährige Wirtin der „Weinstube Fröhlich“, die der Änderung kritisch gegenübersteht. Mit Bordellbetreiber John Heer pflegt Kienzle inzwischen eine offene Feindschaft, die auch vor dem Landgericht ausgetragen wird.
Neues Baurecht versus Bestandschutz – der Streit wird vor Gericht enden
Aber wird dieser Plan wirklich aufgehen? Werden auch die letzten Laufhäuser im Quartier von der Stadt aufgrund der Baurechtsänderung geschlossen werden können? Baubürgermeister Pätzold betont in Interviews immer und immer wieder, dass auch diese letzten vier Betriebe illegal seien. Dagegen haben sich Besitzer wie Heer bisher erfolgreich wehren können. Heer bezichtigt Pätzold in dieser Angelegenheit sogar der „Lüge“. Er pocht auf „materiellen Bestandsschutz“ und beruft sich auf das geltende Recht zum Zeitpunkt des Kaufs der Immobilie. Die Stadt hofft nun, mit Hilfe der Baurechtsänderung dieses Argument zu entkräften.
Heer ist sich allerdings auch jetzt noch eines Sieges bis hin zu den höchsten Instanzen der Verwaltungsgerichtsbarkeit sicher. Er hat bereits angekündigt, diesen Rechtsstreit zu führen. Eine mögliche Folge für die Stadt: Hohe Kosten und Zeitverlust, mögliche Regressforderungen bei einer Niederlage und Stillstand bei der Quartiersentwicklung des Leonhardsviertels. Ein Verkauf der Etablissements an die Stadt könnte aber auch eine Lösung sein. Allerdings liegen beide Parteien angeblich bei der Höhe des Immobilienwertes weit auseinander.
„Unser Thema ist die nicht die Prostitution, unser Thema ist die Gentrifizierung“ (Heinrich-Hermann Huth)
„Nicht die Bordelle, sondern vielmehr eine jahrelange Vernachlässigung durch die Verwaltung sind schuld am Zustand des Viertels“, sagt Huth in dieser mittlerweile hitzigen Debatte. Das Verbot von Laufhäusern wird jetzt nur noch einen zusätzlichen Einschnitt in die „Lebenswirklichkeit des Viertels“ bringen, sagt der SPD-Bezirksbeirat und er findet es wichtig, dass die Leute selbst gefragt werden, ob sie mit oder ohne Bordelle leben möchten. Huth legte Veto gegen den Beschlussantrag am 6. Dezember 2021 im Bezirksbeirat Mitte ein, weil er ihn auch aus anderen Gründen für mangelhaft hielt. Zu viele Fragen bleiben offen. Was passiert denn, wenn die Bordelle geschlossen sind? Soll es dann nur noch Bars und Clubs in der Leonhardstraße geben? Wer wird die Entwicklung im Viertel lenken?
Letzte Hoffnung – Milieuschutz und Quartiersmanagement
Huth will, dass eine echte Quartiersentwicklung stattfindet und das heißt, dass auf dem aufgebaut wird, was heute schon da ist. Seine Forderung ist deshalb die Anwendung des Milieuschutzes auf die Anwohner. Das ist ein städtebauliches Instrument, mit dem der vorhandene Wohnbestand gesichert wird und damit die “gebietsansässige Wohnbevölkerung”, wie es in der Definition heißt. Das klingt zumindest nach einem ersten Schutz vor dem schnellen Zugriff von Investoren. Und die warten laut Stuttgarter Zeitung schon begierig auf dieses Filetstück im Herzen der Stadt. Der Vorschlag des Milieuschutzes findet im Quartier großen Anklang und auch aus dem Stuttgarter Gemeinderat gibt es positive Signale. Entschieden ist aber noch nichts.
Neuer Umgang miteinander – Quartiersmanagement
Dasselbe gilt für das Thema Quartiersmanagement. Denn keiner behauptet, dass alles rund läuft im Viertel. Zu viele unterschiedliche Interessen stoßen hier aufeinander. Die müssen koordiniert werden. Was Quartiersmanagement bedeutet, kann man sich am Beispiel des BID Reeperbahn auf St. Pauli anschauen. BID steht für “Business Improvement District”. Die Hansestadt hat erkannt, dass sie den Veränderungsprozess auf St.Pauli begleiten muss. Dabei geht es zum einen um die Weiterentwicklung des Kiez, zum anderen um die Bewahrung des einmaligen Flairs. Aber auch um eine Art Selbstkontrolle. Probleme wie Müll, Drogen oder auch Gewalt im Leonhardsviertel wären alles Themen für das Quartiersmanagement. Hamburg fährt gut damit.
„Hände weg – lasst unser Viertel schmutzig“
Das steht in großen Buchstaben am Fenster einer Wohnung in der Leonhardstraße. Es ist die trotzige Aufforderung, das Viertel als das zu sehen, was es ist: ein gewachsenes städtisches Quartier. Die Bewohner und Bewohnerinnen fordern Respekt. Sie fordern die Deutungshoheit über ihr Quartier zurück und hoffen dabei auf Unterstützung durch die Stadtgesellschaft.
Quartierserneuerung – „mit den Menschen aus dem Leonhardsviertel wird dies gelingen“
Das ist das Schlusswort zum IBA 27 Projekt „Planspiel Zukunft Leonhardsvorstadt“, an dem sich im Sommer 2020 Bürger und Bürgerinnen aus dem Viertel beteiligt hatten. Bei einem aufwendigen Partizipationsprojekt wurden Visionen erarbeitet für „die gemeinwohlorientierte Entwicklung der Leonhardsvorstadt und des Baufeldes “Neue Mitte“ rund um das Züblinparkhaus. Zum Schluß wurde den Teilnehmenden von der Projektleitung, dem Studio Malta, attestiert: „Nach den Monaten des gemeinsamen Entwickelns von Ideen, dem engagierten Austausch und der anregenden Diskussionen haben wir keinen Zweifel: Mit den Menschen der Leonhardsvorstadt wird dies gelingen.“
Daran glauben die Menschen in der Leonhardsvorstadt immer noch, auch wenn das Projekt in der „Black Box“ verschwand, wie es ein Sprecher der IBA ausdrückt. Vielleicht wäre es jetzt an der Zeit, es wieder aus der Schublade hervorzuholen, um einmal gemeinsam und auf Augenhöhe an der Quartiersentwicklung in der „Neuen Leonhardsvorstadt“ zu arbeiten. Am 28. September wird das Thema Prostitution in der Leonhardsvorstadt im großen Sitzungsaal des Stuttgarter Rathauses Thema sein. Eingeladen wurden zu dieser Sitzung von der Stadtverwaltung (mit Unterschrift von Veronika Kienzle) alle Anwohner und Gewerbetreibenden im Viertel. Danach wollen sich die Gemeinderatsfraktionen entscheiden, ob sie der Beschlussvorlage zur Änderung des bestehenden Bebauungsplanes zustimmen werden oder nicht.
Das 600+Jahre alte Leonhardsviertel zeigt nicht nur Stuttgarter/Innen was einen bezugsorientiert multiple menschlichen Bezug braucht.
Dort sind – klar zu erkennen – unterschiedlichste (Lebens-) Kulturen und Gesellschaftsschichten vereint.
Die Stadt bräuchte dringend ein Quartier das soziologisch initiiert, das Alte mit dem Neuen verbindet.
Das Viertel städtebaulich belassen, jedoch konservieren und renovieren, um vor Ort neue Lebens- und kleine Wohneinheiten für meist noch jüngere Menschen zu ermöglichen. Ähnlich dem „Fluxus“ vor der Renovierung der Calwer Passage hat dies verdeutlicht, wie die Jugend eine „tote Ecke“ belebte und (über-) lebensecht gestaltete… Gebt den Jungen eine Chance, das Alte NEU werden zu lassen…. Übrigens; „wer das Alte nicht schätzt, wird das Neue nicht lange behalten.
Eigenständig 600 Jahre überlebt, schafft das Viertel bestimmt die nächsten 100 Jahre. … Wollen dies die Ermöglichmacher/Innen!!!