„Ich glaub, ich komm nicht, ich hab Angst!“

Das sagte ein Freund zu mir, nachdem ich ihn fragte, ob er denn zum ersten CSD in Pforzheim kommt. So reagierten leider auch andere meiner Freunde. Und auch ein Mensch von Queer Space, einer der Veranstalter, erzählte mir, dass bei der Planung in Pforzheim die Angst durchaus größer ist als bei der von CSDs in anderen Städten. Deshalb gab es hier auch keine Parade, sondern nur Stände am Rathausplatz.

Warum diese Angst? Zum einen, da es der erste CSD in Pforzheim war, und zum anderen, weil es in Pforzheim eine relativ große rechte Szene gibt. Die Stimmung war dann auch angespannt und ich habe mich die ganze Zeit umgesehen. Viele Teilnehmenden meinten, sie haben Angst vor Gewalt und deshalb sogar Wechselklamotten und Abschminktücher dabei, um sich wieder neutral aussehen zu lassen, bevor sie nach Hause gehen.

Angst vor Gewalt

Eine andere von meinen Freunden angesprochene Befürchtung: Von der Familie oder Bekannten gesehen zu werden, die nichts von deren Queerness wissen sollen. Es macht mich wütend, dass sich noch so viele Menschen aus meiner Community verstecken müssen, weil sie Angst vor körperlicher oder psychischer Gewalt haben. Denn auch ich weiß, wie sich das anfühlt.

Bei meiner Familie habe ich mich auch erst geoutet, nachdem ich nach Stuttgart gezogen bin. Auf dem Land merkte ich allerdings schon lange, dass ich da nicht hingehöre. Mein Aussehen und meine Ansichten sind eben nicht typisch fürs Dorf. Schon vor ungefähr vier Jahren wusste ich, dass ich definitiv nicht hetero bin, aber erst nach einem Schulwechsel habe ich realisiert, dass dieses Gefühl, nicht reinzupassen, nicht nur an meinen psychischen Problemen liegt. Irgendwann habe ich dann angefangen, mich mit dem Spitznamen vorzustellen, der mir von einer Klassenkameradin gegeben wurde: Chan. Und irgendwann bat ich meine Freunde, mich nur noch Chan zu nennen und mich mal probeweise mit er/ihm anzusprechen. Plötzlich fühlte ich mich in meiner Identität bestätigt – wenn jemand mich als „er“ betitelte, während ich mit Makeup und einem Kleid danebenstand. Dieses Gefühl werde ich nie wieder vergessen, denn in diesem Moment kam die Gewissheit, dass ich keine Frau bin und eben auch kein Mann.

Aber zuhause?

Nonbinär also. Erstmal keine große Sache. Meine Freunde sprechen mich sowieso schon mit dem richtigen Namen und mit den richtigen Pronomen an. Auch mein Freund akzeptierte es sofort; ich fühlte mich respektiert und angenommen. Aber zuhause? Da war ich immer noch die Tochter, auf die man wahnsinnig stolz ist, die so gute Noten schreibt und die superschlau ist. Im Prinzip fühlte es sich wie ein Doppelleben an – und es wurde immer unangenehmer, meine Familie meinen Deadname sagen zu hören.

Natürlich hatte ich Bedenken, mich zu outen. Vor allem, weil in meinem Umfeld schon mehrfach Personen von ihren schlechten Erfahrungen erzählt haben. Klar wusste ich, dass meine Mum mit Queerness kein Problem hat, aber wenn das eigene Kind sich plötzlich outet, finden viele Eltern das dann doch nicht so okay. Meine Geschlechts-Dysphorie wurde stärker und ich habe immer mehr versucht, mich „männlich“ zu verhalten und zu bewegen, um der Tatsache entgegenzuwirken, dass mich in meinem Ort sowieso jeder als Frau sieht.

Es ist doch das Mindeste, dass sie einen so akzeptieren, wie man ist

Jedes Mal, wenn von mir als „Tochter“ gesprochen wurde, lief mir ein Schauer über den Rücken. Ich sagte mir die ganze Zeit, dass meine Mum nichts dafürkann, dass sie es doch gar nicht wissen kann, aber es fraß mich immer mehr auf. Als ich auszog, war ich irgendwie erleichtert, dass ich jetzt einen Großteil der Zeit so wahrgenommen werde, wie ich mich selbst sehe. Und jetzt, wo ich bei meiner Mum seit 3 Monaten und bei meinem Vater seit einer Woche geoutet bin, spüre ich eine immense Erleichterung und Freiheit, dass ich jetzt komplett ich selbst sein kann. Klar konnte ich das auch davor, aber eben nicht so ganz. Es ist schwer zu erklären; es fühlt sich ein bisschen so an, wie wenn ein Druck von meiner Brust genommen würde und eine Barriere in meinem Kopf sich auflöste. Es fühlte sich falsch an, die Menschen, die mich großgezogen haben, so vor den Kopf zu stoßen, andererseits ist doch nur das Mindeste, was man von ihnen verlangen kann, dass sie einen so akzeptieren, wie man ist.

Ich glaube, das Erste, was ich nach der Reaktion meines Vaters auf mein spontanes Outing gespürt habe, war Verwirrung. Ich hätte niemals erwartet, dass er mich so akzeptiert, weil wir nicht oft Kontakt haben und ich auch nie mit ihm über Sexualität und Gender geredet habe. Shame on me, aber ich habe wohl einfach automatisch angenommen, dass er homophob ist. Bei meiner Mum war es anders. Ich hatte Angst, aber längst nicht so viel wie bei meinem Vater. Da lief es ähnlich ab: Bestätigung, Akzeptanz und ganz viel Liebe. Ich bin sehr dankbar, dass ich so eine Familie habe, aber ich weiß auch, dass das Privileg eines unterstützenden Umfelds nicht jeder hat – vor allem nicht in der ländlichen Gegend, aus der ich komme.

Leider kann es trotzdem immer passieren, dass Menschen einen aus ihrem Leben werfen, weil sie nicht damit klarkommen, wer man ist. Ich habe eine meiner längsten Freundschaften unter anderem deswegen verloren, weil die Person mich nicht so akzeptieren kann und nicht verstand, dass ich nicht mehr der Mensch bin, der ich mit 15 war. Ich finde es im Kern sowieso absurd, dass queere und vor allem trans* Menschen so für Akzeptanz kämpfen müssen, obwohl wir einfach nur in Ruhe existieren wollen.

Seien wir mal ehrlich, es tut niemandem weh, mich mit er/ihm-Pronomen anzusprechen, obwohl ich geschminkt bin, Titten habe oder was weiß ich. Es tut wiederum mir weh, andere trans* Menschen zu sehen, wie sie leiden – und ich wünsche mir eine Zukunft, in der Outings nicht mehr notwendig sind.

Inzwischen wohne ich in Stuttgart und gehe komplett offen mit meiner Geschlechtsidentität um. Ich habe viele Freunde, die auch trans* sind und wir können uns über verschiedene Probleme und Gefühle austauschen. In meinem Alltag präsentiere ich mich eher maskulin und trage meistens einen Binder, eine Art Top, das die Brust flach drückt. Wenn ich mal auf eine Party gehe, gebe ich mich auch mal hyperfeminin, mit Makeup und in knappen Klamotten, die viel von meinem Körper zeigen. Ich habe jedoch für mich selbst entschieden, dass ich in dieser Gesellschaft lieber männlich wahrgenommen werden will; und für mich ist mein Gender sowieso nicht definierbar. Ich selbst und die Menschen, die mir nahestehen, wissen, wie ich mich sehe – und das ist das, was ich am meisten brauche, und das wünsche ich jedem, der sich so fühlt wie ich.

Liebe geht raus an alle meine Mitmenschen! :)