Von der Schmuddelecke zur Vorzeige-Altstadt: Zur Zukunft des Leonhardsviertels, Teil I

Von Martina Klein

 

Die einen lieben es, die anderen rümpfen die Nase – das Leonhardsviertel in Stuttgart, Rotlichtviertel, Ausgehviertel zwischen gutbürgerlicher Küche und Cocktailbar. Die wenigsten Besucher nehmen es als das wahr, was es auch und vor allem ist, ein Wohnviertel für über 800 Menschen, die sich hier noch eine Wohnung leisten können.

Doch das könnte sich mit den Plänen der Stadtverwaltung grundlegend ändern. Nach über zwei Jahren Hängepartie soll noch in diesem Jahr eine Bebauungsplanänderung über das „Vergnügungs- und Rotlichtviertel“ vom Gemeinderat abgesegnet werden. Wenn das geschieht, befürchten die Bewohner die Gentrifizierung ihres Viertels. Panagiotis „Pana“ Sokoridas ist einer der Menschen, die im Leonhardsviertel leben und wohnen. Er betreibt das „Corner 17“, eine Mischung aus Tante-Emma-Laden, Kiosk und Geldwechselstube. Der Kioskbesitzer Sokoridas ist hier aufgewachsen. Das Leonhardsviertel ist seine Heimat. So hat er sich von Fotografin Dominique Brewing auch ablichten lassen. Sie hat den Menschen im Viertel für eine Ausstellung ein Gesicht gegeben. Sie hat „Pana“ in seinem Kiosk fotografiert, den Künstler Clemens Schneider in seinem Atelier, wo er seine Kunstwerke aus selbstgeschöpftem Papier herstellt, Sängerin Rashida Schneider, die tagsüber als Krankenschwester arbeitet, aber auch Michael Brand, der im Café High Noon für Drogenabhängige arbeitet und im Viertel Spritzen und anderen Müll aufsammelt. Fotografiert hat sie auch Heinrich-Hermann Huth in der Tür zur Jakobsstube – einem der Treffpunkte in der Nachbarschaft. Da sitzt dann auch schon mal der Musiker der Stuttgarter Philharmoniker mit in der Runde, an der an einem Sommerabend Drag Queens in ihren farbenfrohen Outfits vorbeiziehen.

 

Das Beste im Leonhardsviertel ist schon da – die Menschen!

 

Mit diesem Slogan startete im vergangenen Sommer eine Online-Petition, mit der Anwohnende auf sich aufmerksam machen wollten. “Sprecht doch mit uns“ forderte im SWR Heinrich-Hermann Huth, der für die SPD auch im Bezirksbeirat sitzt. Anlass war damals wie heute das Ringen um eine Bebauungsplanänderung, die das Quartier betrifft. Diese Änderung, mit der die Prostitutionsbetriebe gänzlich verboten werden sollen, war im Dezember 2021 im Bezirksbeirat Mitte gescheitert. Auch Huth verweigerte die Zustimmung. Die Sorge: Mit dieser Änderung werde der Gentrifizierung des Viertels immer weiter Tür und Tor geöffnet. Man habe Angst, dass unter dem Deckmäntelchen von Kunst und Kultur etwas etabliert werden solle, von dem keiner wisse, was es denn eigentlich sein soll – ein neues Dorotheenquartier?

 

Viele Jahre lang links liegen gelassen

 

Das Viertel, von dem der ehemalige Direktor der Staatsgalerie Christian Holst schreibt, es sei – historisch gesehen – „eines der schönsten Stadtquartiere“, hat viele Jahrzehnte im Schatten des Rathauses verbracht. Die Trennung des Bohnen- wie des Leonhardsviertels durch die B14 vom Innenstadtgebiet tat ihr Übriges dazu. Bis in die 70er Jahre hinein tobte das Nachtleben noch zwischen Eberhard- und Hauptstätterstraße, also in der Innenstadt. Nach dem schwer umkämpften Abriss der Budenstadt, genannt „Vereinigte Hüttenwerke“, und der Neuordnung der Eberhardstraße siedelten sich in den 80er Jahren mit stiller Billigung der Stadtverwaltung Vergnügungsbetriebe im Leonhardviertel an. Neben dem Rotlichtmilieu war es vor allem der Verfall von Gebäuden, der für Schlagzeilen sorgte. Das änderte sich erst mit dem Amtsantritt von Veronika Kienzle (Grüne) als Bezirksvorsteherin Mitte im Jahre 2004.

 

Die Mission der Veronika Kienzle

 

Kienzle machte schnell deutlich, alles daran zu setzen, die Verhältnisse im Leonhardsviertel zu verändern, das Viertel städtebaulich aufzuwerten. Ihre Agenda lautete dabei von Anfang an, vor allem gegen die Laufhäuser im Viertel vorzugehen. Allen Spöttern zum Hohn, versetzte sie für Stuttgarter Verhältnisse in der Stadtverwaltung Berge. Und sie bewies einen langen Atem. Denn erst unter ihrem Parteifreund, OB Fritz Kuhn, wurde ihr Anliegen im Stuttgarter Rathaus zur Chefsache, ein runder Tisch eingerichtet und referatsübergreifend an Lösungen gebastelt. 2014 wurde ein erstes Konzept gegen „Armutsprostitution“ vorgelegt.

OB Kuhn betonte damals noch, es ginge nicht um die Abschaffung der Prostitution im Leonhardsviertel, aber die Eindämmung der „schlimmsten Exzesse“. So wurde er von der Stuttgarter Zeitung zitiert. Die Stadtverwaltung folgte dabei dem Rat des Gutachterbüros Donato Acocella, den Charakter des „Vergnügungs – und Rotlichtviertels“ zu erhalten. Gegen illegale Betriebe wurde in der Folge vorgegangen. Die Zahl der Schließungen schwankt dabei zwischen 7 und 13 Betrieben. Häuser wechselten den Besitzer und auch die Stadt kaufte auf und sanierte. Neue Wohnungen entstanden im Viertel. Bars wie das Fou Fou brachten ein neues, jüngeres Publikum in die Leonhardstraße, in dem das Laufhaus weiterhin neben der Weinstube existiert. Damit können viele im Viertel leben. Und auch das Publikum.

Doch die Stadtverwaltung will jetzt mit Hilfe der Bebauungsplanänderung noch einen Schritt weitergehen – auch in den letzten vier Laufhäusern soll das Rotlicht ausgeknipst werden.