Rotlicht ausknipsen? Zur Zukunft des Leonhardsviertels, Teil II

Von Martina Klein

Fortsetzung von Teil I

 

„Dem Vorschlag (…), den Charakter als Vergnügungs- und Rotlichtviertel zu erhalten, folgt dieser Bebauungsplan nicht“, heißt es in der Begründung des aktuellen Änderungsantrages und mit Hilfe dieser Baurechtsänderung hofft man, auch die letzten Laufhäuser schließen zu können. Denn daran ist die Stadt bisher gescheitert – am Widerstand der Besitzer. Baubürgermeister Peter Pätzold (Grüne) gibt sich in Interviews siegessicher und betont immer wieder, dass kein Platz mehr für Prostitution im Viertel sei. Kienzle erklärte aus Anlass einer Veranstaltung zum Leonhardsviertel im April diesen Jahres nochmals, ihr persönliches Ziel sei die „grundlegende Erneuerung“ des Viertels; und das schließt für sie das Verschwinden der sogenannten Laufhäuser und damit der sichtbaren Prostitution ein

 

Und was sagen die Anwohner? – Die bunte Mischung machts – Das Rotlichtviertel gehöre dazu

 

Das ist das Ergebnis eines Bürgerbeteiligungsprozesses im Leonhardsviertel durch die IBA 27 im Sommer 2020. Das Rotlichtviertel gehört für die meisten Anwohnenden dazu. Und dieser Meinung ist auch die langjährige Gastronomin Christina Beutler. Sie sagt, nie Probleme mit der direkten Nachbarschaft gehabt zu haben. Im Gegenteil. Sie sieht den Erfolg der Weinstube Fröhlich auch in Zusammenhang mit der Adresse Leonhardsstraße. „Die Menschen kommen ins Rotlichtviertel, weil sie die Atmosphäre suchen“, ist sich nicht nur Christina Beutler sicher. Auch Neu-Gastronomen im Quartier äußern sich in dieser Weise. Christina Beutler fände es schrecklich, wenn aus diesem Quartier auch noch so ein „Schicki-Micki-Viertel“ würde.

 

Das Viertel der Paradiesvögel und der „Anderen“

 

Als Viertel der Paradiesvögel sieht Christoph Doll sein ehemaliges Arbeitsrevier. Der langjährige evangelische Pastor in der Leonhardskirche hat sich immer für diese Menschen eingesetzt und verantwortlich gefühlt. Auch für sie muss es in einer Stadt wie Stuttgart einen Platz geben, sagte er noch 2022 in einem Interview in seiner Funktion als Seelsorger. Und dieses Quartier sieht er bis heute im Leonhardsviertel mit seinen niedrigen Mieten und Raum für Menschen, die er als „Deklassierte der Gesellschaft“ bezeichnet. Und da bezieht Christoph Doll neben den sozial Schwächeren auch die Frauen in der Prostitution mit ein. Natürlich spreche er nicht für das Gewerbe als solches, betont der evangelische Geistliche, aber es sei einfach unrealistisch, so zu tun, als gäbe es keine Prostitution.

 

Gewachsenes Netzwerk – Hilfe für Frauen in der Prostitution

 

Und auch das gehört zu den vielen Aspekten rund um die sichtbare Prostitution im Leonhardviertel: Hilfsangebote wie die des Caritas-Verbandes. „Alles, was dort an Zugängen für die Frauen (und Männer) in der Prostitution kaputt gemacht wird, bedeutet auch, dass die Menschen woanders hingehen, in der Anonymität verschwinden,“ sagt Harald Wohlmann, Bereichsleiter Armut, Wohnungsnot und Schulden, Caritas Stuttgart. Dieses deutliche Statement gibt der Caritas-Verband zur Diskussion um die Erneuerung des Viertels ohne Prostitution und damit auch ohne die Hilfseinrichtungen für Frauen und Männer. Die Caritas hat in 25 Jahren mit dem „Café la Strada“ im Leonhardsviertel eine der Anlaufstelle für Frauen in der Prostitution aufgebaut. Das Pendant dazu ist das „Café Strichpunkt“ für Männer in der Prostitution und das Café „High Noon“ für Drogenabhängige. Tägliche Mahlzeiten, Unterstützung bei Amtsgeschäften, regelmäßiger Gesundheitscheck durch das Gesundheitsamt der Stadt Stuttgart und Hilfestellung beim Ausstieg aus der Prostitution, das ist das Angebot im „La Strada“.

„Es ist unser Ziel, Menschen, die der Prostitution nachgehen (müssen), zu helfen, zu begleiten und zu unterstützen. Das können wir natürlich dann und dort, wenn wir wissen, wo die Prostitution stattfindet“, erklärt Caritasvorstand Uwe Hardt. Sichtbarkeit und Nähe des Hilfsangebotes sind dabei die entscheidenden Kriterien, wissen die Sozialarbeiterinnen. Schon das „Dreifarbenhaus“, ein Laufhaus auf der anderen Seite der B14 in der Innenstadt, ist zu weit weg, als dass Frauen von dort ins „Café La Strada“ finden. So die Erfahrung. Doch wenn es zur Schließung der Laufhäuser kommt, dann könnten Einrichtungen wie das „Café La Strada“ überflüssig werden. Das lässt sich zumindest aus der Beschlussvorlage entnehmen:

 

„[…] die gesundheitliche und soziale Lage der männlichen wie weiblichen Prostituierten (wird sich) zeitweise verschlechtern.“

 

So steht es dort zu lesen. Denn eines ist auch klar: durch ein Verbot der Laufhäuser wird Prostitution in Stuttgart nicht abgeschafft. So schätzt das städtische Ordnungsamt, dass im Monat rund 400 Frauen in der Prostitution arbeiten. Wenn davon 75 im Leonhardsviertel und etwa 84 in der Stuttgarter Innenstadt arbeiten, zum Beispiel im „Dreifarbenhaus“, dann heißt das, dass die überwiegende Mehrheit der Frauen jetzt schon in der Anonymität privater Zimmer und Hotels verschwunden ist. „Das erschwert oder verunmöglicht die soziale Arbeit. Insofern sind wir nicht einfach für ein Verbot, Prostitution aus der Innenstadt rauszudrängen, sondern für eine Steuerung des Themas,“ führt Caritasvorstand Uwe Hardt auf Anfrage aus.

Doch davon ist in der aktuellen Diskussion keine Rede. Vielmehr geht es darum, „den Zwickel zu reinigen“. Solche Formulierungen kursieren im Gemeinderat ganz offen über das Leonhardsviertel. Als „Zwickel“ wird das Stoffdreieck im Schritt einer Hose bezeichnet.

Die Bewohner sitzen zwischen den Stühlen …